27.11.2007: 17 Hippies, Freiburg, Jazzhaus
04.11.2007: Gianmaria Testa und Gabriele Mirabassi, Freiburg, Jazzhaus
20.10.2007: Randy Hansen, Freiburg, Jazzhaus
16.10.2007: Stereototal, Jazzhaus, Freiburg
13.10.2007: Kante, Freiburg, Stadttheater
04.10.2007: Mardi Gras.BB, Freiburg, Jazzhaus
02.10.2007: DJ Shantel & Bucovina Club Orkestar, Freiburg, Jazzhaus
18.08.2007: Van Morrison, Freiburg, Brauerei Ganter
22.07.2007: Stephan Eicher / Tocotronic, Lörrach, Stimmen
21.07.2007: Dieter Thomas Kuhn, Lörrach, Stimmen
09.07.2007: ZMF-Lesenacht, Freiburg
13.07.2007: Jethro Tull, Freiburg, ZMF
06.07.2007: Faithless, Freiburg, ZMF
04.07.2007: Goran Bregovic & the Wedding and Funeral Orchestra, Freiburg, ZMF
03.07.2007: Beatsteaks / Mess, Freiburg, ZMF
07.07.2007: 'The Good, The Bad And The Queen, Montreux, MJF
28.06.2007: Deutschmann / Schramm / Bassi / Speedmoik, Freiburg, ZMF
06.07.2007: 17 Hippies, Freiburg, ZMF
30.06.2007: Wir sind Helden u.a., Freuburg, Uni-Campus
02.07.2007: Irie Révoltés / Karamelo Santo / The Locos, Freiburg, ZMF
24.06.2007: Bobby McFerrin, Lörrach, Burghof
31.05.2007: Zonen-Antje (17) im Glück: Titanic-Boys lesen in Berlin
17.05.2007: Mardi Gras.BB, Basel, Kasernen-Rossstall
15.05.2007: Al Di Meola, Freiburg, Jazzhaus
30.04.2007: Matthias Deutschmann, Freiburg, E-Werk
24.04.2007: Sascha Bendiks, Freiburg, Vorderhaus
18.04.2007: Blumfeld, Freiburg, Jazzhaus
14.04.2007: Tokio Hotel, Zürich, Hallenstadion
11.04.2007: Roger Waters, Zürich, Hallenstadion
09.03.2007: Frank Lüdecke, Freiburg, Vorderhaus
23.02.2007: Element Of Crime, Lörrach, Burghof
20.01.2007: Mia., Freiburg, Haus der Jungend
27.11.2007:
Immer noch kein Interview
17 Hippies im Jazzhaus Freiburg
Die Hippies sind also mal wieder in der Stadt. Nach einem fulminanten Konzert im Sommer auf dem ZMF jetzt im Spätherbst im warmen Keller des Jazzhaus. Und man konnte bei diesem Konzert den Eindruck gewinnen, dass es wohl auch winterlich angepasst war, viele getragene Stücke werden vorgetragen, die eher an den Soundtrack eines Märchenfilms erinnern, als zu einem Konzert passen, bei dem man das Publikum zum Tanzen bringen will. Bisweilen beschleicht einem der Gedanke, dass das neue Programm eher für ein Sitzkonzert taugen würde, doch die Stühle und Bänke im Jazzhaus sind beiseite geräumt.
Wenngleich es natürlich immer noch als Leistung gewürdigt werden kann und soll, dass es nicht so einfach sein dürfte, gleichzeitig zu Hüpfen und Trompete zu spielen. Das Novum, dass die bezaubernde Cellistin Rike Lau (man fühlt sich an Udo Lindenberg erinnert: "Du spieltest Cello / in jedem Saal in unserer Gegend / ich saß immer in der ersten Reihe / und ich fand Dich so erregend") ein Stück selbst singt und dabei zu Tage tritt, dass sie die weitaus schönere Stimme als Kiki Sauer hat, deren versoffenes Timbre aber vielleicht die Hippies mitunter ausmachen.
Die pseudointelektuellen Ansagen nerven eher, als das sie ihren Witz entfalten, die Pointe der "altersgerechten Interpretation des Stückes" blieb dem Autor jedenfalls verborgen. Immerhin begegnet man einmal wieder dem Jazzhaus-typischen Bierfass, das ohne Rücksicht auf Verluste durchs Publikum geschoben wird. Da die Mukke nicht wirklich in die Beine geht ist die Gefahr groß, dass sich die Füße auf dem Boden befinden und vom Bierfass überrollt werden.
Schon aus quantitativen Gründen füllen sie jede Bühne: Die dreizehnköpfige Band 17 Hippies.
Dennoch wird natürlich versucht, das Publikum mit einzubinden, sei es durch das anzetteln eines dreistimmigen Kanons, oder durch salbadernde Ansagen, die vom Landschulheim in Freiburg erzählen. Der Abgang zur Zugabenrufpause dauert immer sehr lange, weil es eben lange dauert, bis 13 Leute von der Bühne gestolpert sind. Und zum Schluss überrascht Sauer dann doch noch: "Heimlich" der Titelsong der neuen CD wird zum Besten gegeben und ihre Stimme ist klar wie ein frisch geputztes Fenster. Das macht zwar ihren bisweilen arroganten Habitus nicht wett, zeigt aber, dass sie ihr Fach auf der Bühne beherrscht.
Eigentlich sollte dieses Gastspiel dazu genutzt werden, herauszufinden, warum sie denn "nur" dreizehn Leute sind, aber "17 Hippies" heißen. Aber die Interviewanfrage wurde sicherheitshalber erst gar nicht beantwortet.
jh
Spieldauer: rund 2 Stunden
Zu-Spät-Quotient: 5
Die 17 Hippies sind:
Antje Henkel: Klarinette, Saxophon
Carsten Wegener: Kontrabass
Christopher Blenkinsop: Ukulele, Bouzouki, Gesang
Daniel Friederichs: Violine
Dirk Trageser: Gesang, Gitarre
Elmar Gutmann: Trompete
Henry Notroff: Klarinette
Kerstin Kaernbach: Violine
Kiki Sauer: Akkordeon, Harmonium, Gesang
Lutz "Lüül" Ulbrich: Banjo, Gitarre
Rike Lau: Cello
Uwe Langer: Posaune, Euphonium
Kruisko: Akkordeon
als Gast: Perry Robinson, Klarinette
Heimatseite der 17 Hippies
04.11.2007:
Poesie eines Bahnhofvorstehers
Gianmaria Testa und Gabriele Mirabassi im Jazzhaus Freiburg
Der alte Fiat Cinquecento ist ein antierotisches Auto. So unerotisch, dass vermutlich ein bayrischer Pfarrer das Design entworfen hat und anschließend in Rom Karriere gemacht hat. Warum? Die Sitze lassen sich nicht in eine Liegeposition bringen. Zum Starten muss der Fahrer beinahe der Beifahrerin dass Knie befummeln. Dies funktioniert erst bei längerer Bekanntschaft, ansonsten gibt es eine Ohrfeige wegen unerlaubter Annäherung. Dies meint Gianmaria Testa bevor er anfing mit seinem Lied "L'Automobile" im gut gefüllten Jazzhaus.
Im Stil von Paolo Conte hat er mit seiner rauen Stimme und poetischen Erzählungen das Publikum in seinen Bann gezogen. Als er in einem seiner Lieder die Geschichte eines drehenden Karussells im Nebel erzählt, steigt der virtuose Klarinettist Gabriele Mirabassi ein. Dieser kombinierte sowohl klassische als auch jazzige Elemente, und erinnerte damit stark an Gershwins "Rhapsody in Blue". Die kreative Ergänzung durch die Klarinette ließ den Zuhörer von Verzückung bis Schauer alles spüren, als Mirabassi die bildhaften Texte von Testa untermalte.
Obwohl das Konzert in Freiburg nur als Duo gespielt wurde, hat es nie an klanglicher Fülle im Raum gefehlt. In einem sehr klaren Italienisch (dass der Mann von Sprachführerwelt auch noch verstehen konnte), erzählte Testa von politischen und alltäglichen Begebenheiten. Schade, dass die auf der Bühne anwesende übersetzerin den originalen Wortwitz nicht ins Deutsche übertragen konnte.
Vor der Pause wurde dem aufmerksamen Publikum ein gut gemischter Spannungsbogen serviert. Danach spielte er bekanntere Stücke wie "'Na stella", und "Preferisco cosí". Anschließend sprach er mehrmals die Thematik der Immigration in Italien an. Sicherlich haben nicht alle Italiener seine Meinung über die freundliche und bedingungslose Aufnahme. Aufgrund der Aktualität in seinem Heimatland verlässt deshalb auch schon mal ein Besucher sein Konzert.
Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Musiker trotz seiner europaweiten Bekanntheit, noch bis April als Bahnhofvorsteher arbeitete. Aus erster Hand vernahmen wir dass er schon als junger Mann Lieder schrieb, lange behielt er seine Musik für sich. Erst spät entdeckte er, dass es auch ein Publikum dafür gibt.
PreTenders
Zuschauer: 300
Homepage von Gianmaria Testa
Jazzhaus Freiburg
20.10.2007:
Hasenzähne spielen besser Hendrix
Randy Hansen im Jazzhaus Freiburg
Kleine Bühnen bieten oft die Möglichkeit ganz nahe an den Künstler heran zu kommen. Aber im Jazzhaus Freiburg darf auch nach Lust und Laune dem Gitarristen Bier in den Mund gekippt werden. Und der wenig talentierte Zuschauer wird genötigt während Purple Haze auf der Gitarre des Virtuosen zu spielen. Zwei Stunden beschoss Randy Hansen mit seinem Stratocaster Gewehr das Publikum mit gierigem Blues. Er sprang wie eine verspielte Katze über die Bühne und zog das komplette Register der Standard Rockposen. Natürlich war mit der Zunge Gitarre spielen dabei, aber auch neue Beiträge wie den Mikrofonständer als Streichstock für die Gitarre wurden dem Poserrepertoire hinzugefügt. Ein einzigartiger Randy Hansen hatte das Publikum von Freiburg ein Konzert lang im Griff und erinnert an einen höflichen Iggy Pop in seinen besten Tagen. Eine explosive Bühnenshow ohne bösartiges Benehmen und immer die "good Time" des Publikums im Auge.
In zwanzig gespielten Songs mischte der 53 Jahre alte Randy Hansen eigene und Hendrix`Songs und konnte den perfekt inszenierten Spannungsbogen immer weiter reizen. Klassiker wie Voodoo Chile und Foxy Lady wurden mit ruhigeren Stücken wie Hey Joe durchmischt. So entsprang ein energetischer Höhepunkt nach dem Anderen. Nach überladenen anderthalb Stunden gab es die erste kurze Unterbrechung. Und die Band ließ sich nicht lange bitten für die erste heiße Zugabe. Der dann rauchende Bassist animierte viele des Publikums ein neues badisches Gesetz zu beugen.
Hansen, Gesang und Gitarre, wurde flankiert von Deutschlands bestem Bassspieler Ufo Walter. Den Takt der Körpervibration gab der überragende Schlagzeuger Manni von Bohr mit seinen Doppelbase-Schlägen und Einlagen vor. Alle Bandmitglieder waren mit einem schwarzen Kopfschmuck ausgerüstet. Von der schwarzen Baseballmütze reichte es über die Ledermütze bis zu Randys Cowboyhut. Das Outfit des Gitarristen wurde von einem Ornament verzierten siebziger Oberteil und engen Stretch Hosen vervollständigt. Dies konnte aber alles nicht die Hasenzähne des Sängers übertönen, dessen Erscheinungsbild einen Mick Jagger wie ein Model aussehen lässt. Von Nutzen sind die Zähne beim Spiel der Gitarre aber allemal.
Wie es bei einem Konzert im Jazzhaus so funktioniert, konnten wir am Ende kurz mit Randy anstoßen. Gefragt wie ein nicht mehr ganz junger Gitarrenvirtuose zwei Stunden ein Konzert so powert: Ganz klar "No pain, No gain", wenn der Schmerz kommt muss man einfach schneller werden um den toten Punkt zu überwinden. Jeden Abend, weil wie bei allem, die übung den Meister macht. Randy liebt auch offensichtlich das deutsche Publikum, manchmal träge, manchmal vor Kraft strotzend, aber immer treibt er es mit seiner Show an. Seit 1991 tourt er in Deutschland und sicherlich war das Konzert am 20.10.2007 nicht sein letztes in Freiburg. Mit 15 fing er an Rolling Stones und die Beatles zu spielen, aber dann kam Jimi bei ihm vorbei "I've got to play that shit!" und seitdem tut er es.
PreTenders
Zuschauer: ca. 250
Spieldauer: 120 Minuten
Homepage von Randy Hansen
Jazzhaus Freiburg
16.10.2007:
Wie Wahrnehmungen und Eindrücke sich unterscheiden können
Stereototal, Jazzhaus, Freiburg
Mal eine andere Form der Berichterstattung an dieser Stelle. Es äußern sich zwei Menschen, die beide beim Konzert waren, aber mit so ganz unterschiedlichen Wahrnehmungen und Eindrücken von und über den Abend nach Hause gingen. Es folgen persönliche Empfindungsberichte.
End-Täuschung
Ich war 22, als ich das erste Mal von, oder besser gesagt über Stereo Total etwas hörte. Damals war für mich klar, dass sie großartig und verehrungswürdig sind. Ihr Lied "Liebe zu dritt" (vom Album Musique Automatique) bestätigte mich in dem Glauben. Und die wunderbar junge zu allen Träumen verleitende Stimme von Francoise Cactus tat ihr übrigens, um Stereo Total abzuspeichern unter Musik, die mensch mögen muss, wenn er etwas auf sich hält. So dachte ich damals. Einen Tag und fünf Jahre später bin ich etwas schlauer oder auch einfach desillusionierter.
Die Menschen trudelten langsam ein in das Freiburger Jazzhaus, aber nach der Vorband (Hawnay Troof aus San Francisco) war zu sehen, dass Stereo Total auch in Freiburg einen treuen Fanclub besitzen.
Schon vom ersten Lied an, fand ich die Show, die Brezel Göring und Francoise Cactus abspulten, völlig erschütternd. Göring als der größte Cactusfan überhaupt, der zum ersten Mal nach der Hälfte der Spielzeit einen eigenständigen Kontakt zum Publikum suchte und Cactus als gelangweilte Diva, die mit der Zeit zwar auftaute, aber dann einen noch neurotischeren Eindruck erweckte, ließen mich schnell von der alkoholisierten Menge in den vorderen Reihen Abstand nehmen, so dass ich den Rest des Konzerts auch räumlich distanziert verfolgte. Vielleicht ein Fehler, die Stimmung auf der Bühne und im Publikum wurde in den eineinviertel Stunden Spielzeit lockerer, aber mir blieb der bittere Geschmack im Mund, Zeuge einer unauthentischen Show zu werden, die Menschen begeistert und um deren Willen aufrecht erhalten wird. Göring blieb auf die Cactus fixiert, mit kurzen Ausrutschern, während derer er sich auch einmal ins Publikum stürzte und die schnorrige Art seiner Partnerin ausglich. Wie ein reuiger Hund kam er auf die Bühne zurück. Cactus holte zur Liebezudritt-Demonstration eine der treuen Fans auf die Bühne, und für einen Moment schien die Stimmung auf der Bühne einen authentischeren Glanz zu bekommen.
Von diesen Ausnahmen abgesehen, blieb der Abend für mich eine Enttäuschung, die Texte größtenteils nur mit viel gutem Willen aussagestark, die Musik bekanntermaßen eingängig, ohne eine Idee von Experimentierfreudigkeit, und der Auftritt der beiden zwischen verkrampft und auswendig gelernt, abgesehen von kurzen Momenten in denen ein für mich erkennbar echtes Gefühl aufblitzte.
Jenny
Hawnay Troof, Françoise Cactus und Brezel Göring (v.l.) auf der Bühne vereint.
Spaß
Ich war in etwa demselben Alter, als ich das erste Mal etwas von dem Berliner Duo Stereo Total hörte. Ich fand sie ebenfalls großartig, erst recht, nachdem ich sie vor einigen Jahren zum ersten Mal live gesehen hatte. Die musikalische Mischung machte es, die mich so faszinierte. Ich zitiere zu Beginn - weil es so schön ist - einige kurze Auszüge aus dem "Handwörterbuch der Gattungen und weiterer semantischer Konstrukte", das durch die bisherigen Alben seit der Entstehung von Stereo Total entstand: "40% Chanson, 20% R'n'R, 10% Punkrock, 3% DAF-Sequenzer, 4% Jacques Dutronc-Rhythmique, 7% Brigitte Bardot and Serge Gainsbourg, 1,5% Cosmonaute, 10% really old synthesizers, 10% 8-bit Amiga-sampling, 10% transistor amplifier, 1% really expensive and advanced instruments" ... "Yéyétronic, electropunky, kitsch & speed, sissilistening, bricolopop, Berliner juke-box" ... "a minimalistic production (in a positive sense), meaning a home-made-trash-garage-sound crossed with underground, authentic as well as amateurish, ironic as well as effective, pop as well as ... political."
Das sagt doch schon alles. Vielleicht lag mein gefühlter Spaß an diesem Abend auch mit an meiner positiven Grundstimmung, wer weiß das schon, aber er war da! Stereo Total machen keine Musik, die ich mir zuhause anhören würde, für die ich Geld für ein Album ausgeben würde, aber live, ganz große Klasse, mit viel Fantasie und Energie, und eben trashig, und genau das hab ich mir gewünscht. Ob es der Song war "Ich bin ein Stricherjunge" (vom aktuellen Album Paris-Berlin), oder "Cinemania" (vom Album Do the Bambi), eine Hommage an einige große Schauspieler/innen und Regisseure/innen der Filmgeschichte, sie waren gut.
Auch mein absolutes Lieblingslied war, ist und bleibt "Liebe zu dritt"! "Relax Baby Be Cool" (wiederum vom neuesten Album), dargeboten mit dem "special guest" Hawnay Troof fand ich ebenso gelungen wie den Song "Everybody in the discotheque (I hate)", bei dem Cactus und Göring ach so wunderschön zusammen singen.
Das Publikum, um ehrlich zu sein, ich habe es weder sonderlich positiv noch negativ wahrgenommen, fand die Stimmung jedoch ziemlich gut.
Es hätte gern länger dauern dürfen, das Konzert, für meinen Geschmack!
Tanja
Stereototal sind:
Brezel Göring: Gesang, Synthesizer-Tasten, Gitarre, Schlagzeug
Françoise Cactus: Gesang, Schlagzeug, Gitarre, Trompete
Zuschauer: 550
Spieldauer: 75 min
Zu-Spät-Quotient: 7
Stereototal im Jazzhaus am 19.11.2005
Heimatseite von Stereototal
Jazzhaus Freiburg
13.10.2007:
über unruhige Tiere, die Apokalypse, Zombies und Sex
'Kante' im Stadttheater Freiburg
Wie war es im Internet zu lesen? "Zu guter Letzt sei noch angekündigt, dass Kante am Samstag den 13. Oktober anlässlich der Saisoneröffnung ein Konzert im Stadttheater Freiburg spielen." So sollte es dann auch schließlich sein, und die Spannung im Vorfeld war groß. Kante im Theater? Ein Sitzkonzert? Wie wird die Stimmung sein?
"Wir sind Kante aus Hamburg und freuen uns sehr, hier zu sein" legten dann auch direkt und pünktlich um 22 Uhr los mit "Die Tiere sind unruhig", ein Stück aus dem gleichnamigen - und endlich mal wieder recht rockigen - Album von 2006, mit dem Kante die Top 10 der Kritiker-Jahrescharts stürmten. Auf der Platte gibt es nur 7 Stücke, aber alle sind lang, zwischen 6 und 10 Minuten. Wie sagte Sänger und Gitarrist Peter Thiessen auf der Kante-Homepage: "Nach der vorherigen platte "Zombi", die extrem durchdacht und ausbalanciert war, war uns diesmal wichtig, mehr Zügellosigkeit, Spaß und Energie walten zu lassen, als alles bis ins letzte zu durchdenken. Es geht um Hitze, Ruhelosigkeit, Umbruch; und dabei dennoch einen realistischeren, dem Leben entsprechenden Blick auf die Dinge zu gewinnen."
Nun ja, dass der Beginn pünktlich war, dafür sorgten selbstverständlich die regelmäßigen Gongs im Vorfeld und die sich dann schließenden Türen - Theater eben. Irgendwie bizarr... Kante jedoch scheinen in diesem Theater erst nach ihrem ersten Stück angekommen zu sein. "Felix, guck mal, da oben sind auch ganz viele", so der Sänger zum Gitarristen, als er die Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Rängen entdeckte. Die daran anschließende Frage, ob diese Menschen denn auch Operngläser dabei hätten, war durchaus berechtigt.
Es folgte "Ich hab's gesehen", ein Stück, das von Dunkelheit und der Apokalypse (so Peter Thiessen) handelt, ebenfalls von dem tierischen Album.
Kante im Theater - so sieht das aus.
Im Anschluss daran (inzwischen war eine Person im 2. Rang aufgestanden und gut am Abtanzen - ein erster Durchbruch der Theater-Sitzordnung, und bald sollte ihr eine weitere folgen) gaben Kante eine kurze Einführung in ihre neueste Platte "Kante plays Rhythmus Berlin". Diese ist kein reguläres Album der Band, sondern ein eher außergewöhnliches Projekt, ein Nebenwerk quasi. Peter Thiessen schrieb die Texte (und einen Teil der Musik) zur Revue "Rhythmus Berlin", die im März 2007 im legendären Friedrichstadtpalast startete. Das Thema: Die Geschichte einer "Liebe auf den ersten Blick" in Berlin von Sonnenaufgang bis Mitternacht in 24 ungewöhnlichen Bühnenbildern. Es gab dann vor dem samtrotenen Vorhang im Hintergrund ein erstes Stück dieser Platte zu hören, "Die Stadt verwischt die Spuren". Darin stellt sich die Frage: "Wie find ich bloß den Weg zu dir, in diesem Meer von Möglichkeit, in dieser viel zu großen Stadt, die deine Spur unsichtbar macht?"
Es folgte ein weiteres Stück dieser Platte, bei dem es, wie drückte sich Peter Thiessen aus, um ein sehr beliebtes Thema in der Rock- und Pop-Musikgeschichte geht: Sex! Doch hat er leider just in diesem Moment den Titel dieses Stücks vergessen, was er auf seinen Zustand des Perplex-Seins schob, den er immer dann hat, wenn er in Theatern spielt, weil da das Publikum immer so artig sitzt, und er dann beginnt, Blödsinn zu reden. Soso. Spätestens zu diesem Zeitpunkt des Konzerts war klar: Kante hatten Spaß auf der Theaterbühne, mit viel Humor, gut gelaunt und mit einer sehr sympathischen Natürlichkeit legten sie los und produzierten - dank sei der Location - einen genial gigantischen Sound. Und ganz nebenbei: Es handelte sich hierbei um die wunderschöne Ballade "Du hältst das Fieber wach".
Mit dem fast nicht enden wollenden Stück "Nichts geht verloren" (vom Album "Die Tiere sind unruhig") ging es munter und rockig und frickelig weiter. Und da dieser Song schon wieder von Sex handelte, war schon fast klar, womit es dann wiederum weiter ging, nämlich mit der erneuten Beschäftigung mit der Apokalypse. "Die größte Party der Geschichte" wurde dargeboten, mit einem extrem gelungenen Hip Hop-Teil des Gitarristen Felix Müller. Schade nur, dass diese Party ohne Kante bzw. ohne die fiktiven Personen des Songtextes stattfand, denn diese sind leider am Türsteher gescheitert. Und so ganz nebenbei: Nach Aufforderung von Peter Thiessen, dass man bei diesem Song eigentlich stehen müsse, taten das nun all die Zuschauerinnen und Zuschauer. Es war irgendwie lustig anzusehen: stehende, tanzende, sich im Rhythmus bewegende Menschen zwischen den engen Stuhlreihen.
Das ist später, und aus dem Sitz- wurde ein Stehkonzert.
Einige Songs später dann, und auch dies ein Zeichen eines sympathischen Humors, "wir kommen zum vorerst letzten Stück dieses Abends". Nach den (zu erwartenden) "Nein"- und "Buh"-Rufen dann ein lapidares "ihr kennt diese Rituale", um natürlich nach eben jenem einen Song und begeistertem Applaus wie selbstverständlich wieder die Bühne zu betreten. Bei "Die große alte neue Stadt", eine Ode an Berlin, war Peter Thiessen am Bass zu sehn. Auch da schien er sich (obwohl es Felix Müller eine Degradierung wegen zu häufigen Verspielens nannte) äußerst wohl zu fühlen, war er doch auch einmal in längst vergangenen Zeiten Bassist bei Blumfeld. Großartig war die dann folgende gelungene Coverversion "French Dicsco" von Stereolab, ein Stück über die Notwendigkeit von Widerstand.
Nach einem erneuten kurzzeitigen Verlassen der Bühne gab es zum Abschluss das über neun-minütige "Die Hitze dauert an". Zum dahin schmelzen melancholisch schön.
Dem Publikum scheint der Auftritt Kantes gefallen zu haben, das sagte zumindest der lang anhaltende Applaus aus. Mit "Moon, Stars and Planes" (vom Zombi-Album) verabschiedeten sich Kante endgültig aus dem Freiburger Theater.
Freie Plätze hätte es noch viele gegeben. Und all denjenigen, die das Fußball-Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft diesem Konzert vorgezogen haben, denen sei gesagt, es war die falsche Wahl. Sie haben einen schönes Konzert, tolle Musik und großartige Musiker in der Einmaligkeit eines Theatersaals verpasst!
Tanja
ZuschauerInnen: 350
Spieldauer: 110 Minuten
Kante sind:
Florian Dürrmann (Bass)
Thomas Leboeg (Keyboards/Synthesizer)
Felix Müller (Gitarre)
Peter Thiessen (Gitarre/Gesang)
Sebastian Vogel (Schlagzeug/Percussion)
Heimatseite von Kante
04.10.2007:
"Ekstatische Verzückung"
Mardi Gras.BB im Jazzhaus Freiburg
"Spärlich gefüllt" fällt einem dazu ein, über die Gründe kann nur spekuliert werden: Zu teuer? Zu viele im langen Wochenende nach dem Feiertag? Ist der Tipp vielleicht doch zu geheim? Oder das Jazzhaus gar zu rauchfrei? Sind die Leute zu platt von den Feiertagsfeierlichkeiten und kommen nicht mehr in die Puschen? Oder gar von der WM-Feier? Oder sind die Studis an diesem lauen Altweibersommerabend einfach zu lange an der Dreisam hängen geblieben? Man kann in der Tat nur spekulieren, sicher ist, all die Daheimgebliebenen haben sich etwas entgehen lassen an diesem Abend im Freiburger Jazzhaus.
Zehn Mann betreten die Bühne des halbvollen Jazzhaus', und legen mit ihren Bläsern und Trommeln von der ersten Minute an los. Sänger und Gitarist Jochen 'Doc' Wenz bedankt sich gleich zu Beginn artig bei "den Angestellten" die ihr bestes gäben, wie die Band auch an diesem "akustisch schwierigen Ort". Und er beklagt die "Manifestation der Kälte auf den Flügeln", sozusagen auf den Außenbahnen, wo sich einige ältere Semester im sonst unbestuhlten Jazzhaus doch hingesetzt haben.
Alle zwanzig Minuten verschwindet der 'Doc' kurzzeitig von der Bühne. Ob er eine so schwache Blase hat? Oder er sich dann doch eher die Nase pudert? Letzteres erscheint wahrscheinlicher, die Ansagen sind nach seinen Pausen, die die Band locker und gekonnt mit Solieinlagen füllt, immer besonders frisch und erheiternd.
Die Band im Publikum...
Und um das Rad nicht zweimal zu erfinden, hat 'The Bishop' aus der Dorfgeschwätz-Redaktion die Mukke im Frühsommer so beschrieben: "Die Stilmischung aus 70er-Jahre-Soul und Big Band-Swing mit afro-kubanischem Feuer und schepperndem Trümmer-Blues traf vom ersten Ton an den Geschmack des Publikums. Die Bläser spielten miteinander, nacheinander, gegeneinander übereinander und ernteten immer mal wieder Szenenapplaus, wenn sie das kurzfristige Chaos an Sounds harmonisch wieder auflösten. […] Von Song zu Song erhöhte die Band die Schlagzahl. Immer schräger und fetziger wurden die Bläsersätze und der Spaß an ihrer Musik war den Jungs in jeder Minute des Auftritts anzumerken."
Den Spaß merkte man Ihnen im Jazzhaus allerdings nicht unbedingt an. Vielmehr wurde man das Gefühl nicht los, die Band hat nicht so richtig Lust vor halbvollem Haus zu spielen. Gegen Ende will der 'Doc' "ekstatische Verzückung sehen" und die Band bläst aus allen Rohren und geht noch mal richtig nach vorne los. Nach anderthalb Stunden dann der Abgang, doch eine Big-Band wäre keine Brass-Band, wenn sie zum Ende des Konzerts nicht noch eine Einlage inmitten des Publikums geben würde - unplugged versteht sich und das Publikum ist verzückt und fordert eine Zugabe, auf die die Band gar nicht mehr vorbereitet scheint.
JedeR der heute gefehlt hat, hat etwas verpasst.
jh
Zuschauer: ca. 300
Spieldauer: ca. 95 Minuten
Jazzhaus Freiburg
Homepage von Mardi Gras.BB
Bericht zu Mardi Gras.BB im Mai 2007 in Basel
02.10.2007, Jazzhaus Freiburg:
Disko Partizani - Gipsy-Musik okkupiert die Tanzfläche
DJ Shantel & Bucovina Club Orkestar - Disco Partizani
Shantels Namenszusatz "DJ" impliziert nicht unbedingt erstklassige Livemusik. Insofern war ich, neugierig geworden durch diesen Spiegel-Online-Artikel, gespannt was DJ Shantel auf die Jazzhaus-Bühne bringt. Der Ruf gute Partys zu feiern eilt ihm auf jeden Fall voraus, denn das Jazzhaus war voll und nicht wenige Besucher schwelgten in Erinnerungen von Shantel's Partys in Frankfurt/Main. Dass dieses Konzert ebenfalls in guter Erinnerung bleiben würde, zeichnete sich schon nach zwei Liedern ab. Das Bucovina Club Orkestar musiziert mit Gitarre, Percussions, Trompete, Klarinette, Saxophon, Akkordeon, Schlagzeug, Posaune und Geige. Dabei dient die Posaune als Bass, was der Musik ein besonderen Flair gibt. Jeder Ton ist live, Shantel spielt Gitarre und singt, wobei er von der serbischen Sängerin Vesna Petkovic unterstützt wird. Das viele Lieder nicht auf Englisch gesungen werden ist erstmal ungewöhnlich, aber unerheblich, denn man kann dazu hervorragend tanzen. Und das tat fast das gesamte Publikum auch ausgiebig. Für kurze Verschnaufpausen sorgten Instrumentalstücke in denen Shantel eifrig Wodka ins Publikum ausschenkte - stilecht eben. Bei der Vorstellung der Band verlieh Shantel seinen Bandmitgliedern den Titel "Maestro", was jeder Einzelne durch ein eindrucksvolles Solo bestätigte. Rund anderthalb durchgetanzte Stunden dauerte das sehr mitreißendes Konzert, dass Lust machte beim nächstem Bukovina Club wieder mit dabei zu sein. Die im Internet zu findenden Livemitschnitte spiegeln nicht die aufgeladene Stimmung wieder, die im Jazzhaus herrschte. Für ein richtig gutes Konzert braucht es eben auch das richtige Publikum und eine solch gute Liveband die es zum Kochen bringt.
Das Bucovina Club Orchestar in Aktion.
Das aktuelle Album des Bucovina Club heißt "Disco Partizani". Die Definition: "Partisanen führen Kampfhandlungen in einem Gebiet durch, in dem eine andere reguläre Gewalt offiziell den Herrschaftsanspruch erhebt." passt ganz gut für ihre Musik wenn man die "Gewalt" als 70/80er Jahre Partys ansieht, und die "Kampfhandlungen" als hochklassige Gipsy-Livemusik. Gipsy-Musik ist dabei eher als überbegriff über die Musik von Südosteuropa zu verstehen. Die Musiker, mit denen das Album entstanden ist, stammen aus den verschiedensten Ländern und so greift ihre Musik unterschiedliche Elemente auf, die stilsicher in Tanzbares umgesetzt wird. Dafür wurde Shantel letztes Jahr übrigens mit dem "BBC Award for World Music" geehrt. Zur Single "Disco Partizani" gibt es hier ein sehr witziges Video mit Bildern aus Rumänien, wo sich die Bukovina befindet. Dies soll jedoch keine Vorurteile schüren, denn wer einmal da war weiß, dass die Rumänen Partisanen der Inprovistationskunst sind, was sie zu lockeren, aufgeschlossenen und damit sehr angenehmen Leuten macht.
USt.i
Zuschauer: ca. 700
Spieldauer: ca. 90 Minuten
Bucovina Club Orkestar waren an diesem Abend:
Vesna Petkovic (Gesang)
DJ Shantel (Gitarre, Gesang, Percussions)
Marcus Darius (Schlagzeug)
Richard Winkler (Klarinette, Saxophon)
Kurt Bauer (Geige)
Lothar Lässer (Akkordeon)
Roy Paci (Trompete)
Michael Bergbauer (Posaune)
Homepage von Shantel
Jazzhaus Freiburg
18.08.2007:
"5 mal 3 macht 18, weniger 5 ist 12"
Van Morrison im Innenhof der Brauerei Ganter
"5 mal 3 macht 18, weniger 5 ist 12" - so rechnete die Bedienung einem überraschten Gast überzeugt vor, als er seine fünf leeren Pfand-Becher gegen fünf weitere Pils tauschen und dafür nur 10 Euro bezahlen wollte. "Six and two is eight, c´mon darling, don´t you make me wait", mag es ihm wohl durch den Kopf gegangen sein, gespielt werden aber sollte 'Sweet Home Chicago' diesen Abend nicht, denn gerechnet wurde mit einem Gast, dessen Heimatstadt Belfast ihn wohl ebenso prägte wie die Liebe zum Jazz, Blues und Soul die er mit seinem Vater teilte.
Van Morrison und Band besuchte die Stadt und gab eine Probe seines Könnens im gut gefüllten Innenhof der Brauerei Ganter in Freiburg. Das Ensemble, bestehend aus acht MusikerInnen, die mit Piano & Hammond, Pedal-Steel-Guitar, Banjo, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Trompete, Violine und Background-Gesang ein solides Fundament schufen für die Soul-Legende.
Nach gut 30 Minuten hatten die Musiker sich mit Stücken wie 'How About Soul' und 'Back On The Top Again' warm gespielt. Die Stimme Morrisons und sein Saxophonspiel wurden geschmeidiger und klangen vertraut wie eh.
Nahaufnahme: Van Morrison. (Foto: Marc Faltin)
Seine Musik hat sich nie wesentlich verändert, und kaum ein anderer Musiker hat es so wenig nötig wie er. Sieht man den Mann in seinem grauen Anzug und Hut auf der Bühne stehen, wirkt er vielleicht eher routiniert, scheinbar verwurzelt vor dem Mikrophon mit minimaler Gestik und doch, sein Gesang und sein Spiel berührten. Umweht von der kühlen Abendluft, welche die Fallwinde des Höllentälers mit sich trugen, wärmte sich das Publikum bei 'Early In The Morning' am Feuer, das der gebürtige Ire an diesem Abend brennen lies.
Starke Begeisterung bei 'Real Real Gone' und 'Brown Eyed Girl' bei dem als Intro
eine eigene Interpretation von 'Sumertime' erklang und ein bisschen melancholisch stimmte bei dem Gedanken an das nahende Ende des Sommers. Perfekt an die Bedingungen angepasst die Lautstärke, ein angenehmer warmer und klarer Sound machten diesen Abend zu einem besonderen Genuss, hoffentlich auch für die Nachtschwärmer, die sich die stolzen Eintrittspreise nicht leisten wollten, und sich entlang der Dreisam aufhielten, sich mit dem Echo begnügten, das im Zwielicht der Dämmerung widerhallte.
Der Mitreiser, bei dem es auch das Publikum auf den viel zu eng bestuhlten Sitzplätzen nicht mehr hielt, war zugleich auch das letzte Stück mit dem sich die Künstler verabschiedeten. Mit 'Gloria', bei dem die Instrumentalisten mit ausgeprägten Soli noch einmal ihr können unter Beweis stellten endete der viel zu kurze Abend, und Van Morrison verlies ebenso unauffällig wie er gekommen war, die Bühne.
RR
Spieldauer: 91 Minuten
Homepage von Van Morrison
22.07.2007:
Doppelpack
Stephan Eicher & Tocotronic, Lörrach, Marktplatz
Für das letzte Konzert auf dem Marktplatz in Lörrach im Rahmen des Stimmen-Festivals zauberten die OrganisatorInnen noch einmal ein ganz besonderes Kaninchen aus ihrem Zylinder. Stephan Eicher, Schweizer Liedkünstler und die Hamburger Formation Tocotronic.
Doch aufkommende Zweifel ob der Konstellation für den hiesigen Abend wurden sanft mit den ersten Klängen der weisen Gitarre Stephan Eichers beiseite geschoben, der mit "Weiss nid was es isch" den Abend eröffnete.
Die kleine schwarze für den Abend.
Während im Bereich nahe der Bühne sich das Publikum drängte, bot sich auf dem Rest des Marktplatzes, der nicht annähernd so voll besetzt war wie am Abend zuvor, genug Gelegenheit, Platz zu nehmen und bei einem Gläschen Rotwein entspannt der Musik zu lauschen. Neidisch konnte man schon werden auf die wenigen Glücklichen, die in den umliegenden Gebäuden einen gemütlichen Logenplatz an den Fenstern eingenommen hatten, doch die abwechslungsreiche Musik des Quintetts war Entschädigung genug. Die Stilrichtungen wechselten sie von einem Stück zum anderen ebenso, wie die Instrumente.
Knappe 75 Minuten gelang es Stefan Eicher, unterstützt von einem Gitarristen, einem Pianisten, der auch hier und da an den Bass wechselte, zwei Bläsern und einem versierten Schlagzeuger und Percussionisten mit älteren und neuen Liedern aus seinem vielseitigen Repertoire, das Publikum auf einer stimmungsvollen Reise durch Heim- und Fernweh, Gänsehaut und Sehnsucht zu geleiten.
Generationenwechsel auf dem Marktplatz. Die einstige "Sportjackenfraktion" scheint in Sachen Mode reifer geworden zu sein und nahm nun den Platz vor der Bühne ein, während nicht wenige der ältern Konzertbesucher das Festivalgelände ganz verließen.
Mittlerweile war die Dämmerung soweit fortgeschritten, dass die Beleuchtung der Bühne voll ausgeschöpft werden konnte. Mit "Mein Ruin" starteten Tocotronic in rubinrotes Licht getaucht ihren Auftritt. Ein schweres Gitarrenbrett, gegen das sich Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow mit seiner sanften und leicht melancholischen Stimme nicht immer durchsetzen konnte, gebettet im knackigen Bass und treibenden Beats des Schlagzeugs, unterstrichen die viel gelobte und zitierte Lyrik dieser Formation. Wo diese nicht mehr genügte, setzten die Gitarren gezielt auch einige Disharmonien, ließen Feedbacks die Unruhe und Zerrissenheit spüren mit der sich die Stücke auseinander setzten. Mitreisend auch die Nummer "Pure Vernunft (darf niemals siegen)", bei der es kein Halten im Publikum mehr gab.
Sich den Frust von der Seele spielen: Dirk von Lowtzow.
"Music is he healing force of the Universe" verkündete von Lowtzwow im letzten Stück "Freiburg", von dem nach einem Licht - und Klanggewitter nichts blieb, als ein endloses und unheimliches Feedback der Instrumente die auf der Bühne zurückgelassen waren nach dem die Band diese schon lange verlassen hatte. Bis sich einer der Techniker erbarmte und die Verstärker abschaltete.
RR
Spieldauer
Stefan Eicher: 75 Minuten
Tocotronic 70 Minuten (+ 5 Minuten Feedback)
Heimatseite von Tocotronic
Heimatseite von Stefan Eicher
Stimmen-Festival
Bericht zum Stimmen-Festival 2006
21.07.2007, Lörrach, Marktplatz:
Geht das ohne Drogen?
Dieter Thomas Kuhn nach 10 Jahren wieder mal in Lörrach
"Musik ist Trumpf" vom Band ertönt zum Empfang, die 'Kapelle' tritt auf die Bühne, und gegen Ende des Intros kommt er - passend zum Sonnenblumenmeer, das das Publikum mitgebracht hat - im gelben Anzug und dem geradezu legendären Brusthaartoupet. Nach zehn Jahren ist endlich Dieter Thomas Kuhn mal wieder in der Stadt. Aber wer will den eigentlich sehen?
"Dahin gehen wo's weh tut" ist das Redaktionsmotto, man kann es sich aber auch einfacher machen und einen Chauffeur besorgen und das Ganze einfach nicht nüchtern über sich ergehen lassen. Und dann hat es seine Reiz, bereits beim ersten Stück fliegt der erste Slip auf die Bühne, nach dem Zweiten gibt es schon frenetische "Dieter, Dieter" Gesänge im Publikum, derweil Kuhn fragt, wann es denn endlich wieder richtig Sommer würde - auf den Klassiker von Rudi Carrell wartet man indes bis zum Ende vergeblich - und schwadroniert über "spätere Nackttänze" die nicht ausgeschlossen seien, auch wenn man im Lauf' der Jahre schon etwas Altersspeck angesetzt habe. Die Kapelle macht eine Polonäse über die Bühne und den Laufsteg und der erste BH - geschätzte Größe "DD" fliegt Richtung Kuhn, der anschließend meint, "etwas mehr Spitze dürfte schon sein, das ist ja ein Still-BH".
Und spätestens beim an vierter Stelle erklingenden "Griechischer Wein" gibt es wohl niemanden mehr auf dem Platz, der nicht mitsingt. Selbst der Chronist erwischt sich dabei, dass er sich bemühen muss, die Lippen geschlossen zu halten, ist doch die Drostsche Maxime, die Wirklichkeit durch eigenes Handeln nicht zu verfälschen, oberstes Gebot. Auch wenn es schwer fällt, denn die Schlager, die Kuhn mit Kapelle auf die Bühne legt sind alles Klassiker, die allerdings deutlich mehr rocken, als sie das im Original tun. Und wenn der Pegel stimmt kann man schon mal in Versuchung geraten, dabei dann auch noch mitzusingen.
Verteilt auf fünf Stücke während des Konzerts dürfen irgendwelche Frauen auf die Bühne. kurz mittanzen und werden brav mit einem Kuss von Kuhn alsbald wieder des Feldes verwiesen. Wer die Frauen aussucht, die da auf die Bühne geschickt werden? Man kann nur spekulieren, zumindest ist das Spektrum weit gefächert. Und eifersüchtige Freunde dürfen sie auch nicht dabei haben, denn was da auf der Bühne abgeht ist mitunter Erotik pur.
Zwischendurch wird immer mal wieder ein Blick auf die Playlist geworfen, möglichst heimlich, als die Nachbarin auch drauf schauen will und ich den Zettel schnell wieder zuklappe meinte sie: "Ich kenn' es eh schon - nach 35, 38 Konzerten". Es gibt also auch Hardcore-Kuhn-Fans. Und dann eben auch solche, die meinen, man müsse alles mitmachen. Die hinter mir stehende alte Schlutte meinte, bei "Kleine Kneipe" mich durch ihre Hände auf meinen Schultern zum mitschunkeln zu bewegen - alles hat seine Grenzen. "Aus solcher Musik werden Pogrome gemacht" merkte ein Freund der Redaktion beim Konzert von Goran Bregovic an. Und genau das ist es wohl, was den fahlen Beigeschmack ausmacht. Nicht das man Kuhn unterstellen wollte, er wäre für Pogrome, aber einen wie ihn bräuchte es wohl, um die Grundlage dafür zu schaffen. Unter soziologischen Aspekten ist ein Konzert von Dieter Thomas Kuhn auf jeden Fall Pflicht.
Nachdem diese Grenze nun auch erfolgreich gezogen war, gibt Kuhn "Konnie Kramer" zum Besten - leider nicht in der Wiglaf-Droste-Version: "Schatz ich bin's Konnie Kramer, alles im Lot / ich habe nur mal eben Zigaretten geholt…der erste Automat war kaputt / der zweite hatte nicht meine Marke / am Dritten weiß ich nicht mehr genau…"
Eine kleine Sensation ist die schlichte aber sehr effektvolle Pyrotechnik, die erstmals bei "Aber bitte mit Sahne" zum Einsatz kommt; eine etwas größere der Auftritt Kuhns und der Kapelle nach ihrer ersten Zugabenrufpause im Trainingsanzug. Couchfertig geben sie ein großes Finale, Kuhn dreht noch eine Runde im Schlauchboot über den Lörracher Marktplatz und mit Seifenblasen, Konfettibomben und "Musik ist Trumpf" geht der Abend zu Ende, wie er angefangen hat.
Auf dem Heimweg meint der Chauffeur: "Meine Tochter (5) hätte bei der Bierzeltmusik ihre helle Freude gehabt - ohne Bier."
jh / Fotos: RR
Zuschauer: ca. 3500
Spieldauer: ca. 130 Minuten
Heimatseite von Dieter Thomas Kuhn
Stimmen-Festival
Bericht zum Stimmen-Festival 2006
09.07.2007, ZMF, Spiegelzelt:
Geschichten aus dem Leben und vom Leben erzählend
Die 5. ZMF-Lesenacht
Nicht nur das ZMF feierte in diesem Jahr ein Jubiläum, sondern auch eine ganz bestimmte Veranstaltung, nämlich die ZMF-Lesenacht im Spiegelzelt. Zum nunmehr fünften Mal wurde gelesen, gesungen, musiziert und gelacht. In diesem Jahr mit dabei: Als Moderator, Stehschlagzeugspieler und Vorleser der Freiburger Kabarettist und Autor Jess Jochimsen, die Vorleserin Kirsten Fuchs aus Berlin, der Vorleser Micha Ebeling, ebenfalls aus Berlin, der Vorleser Michael Sailer aus München und zur musikalischen Umrahmung der Sänger und Songwriter Sascha Bendiks aus Freiburg.
Was erwartet denn nun eine und einen bei einer Lesenacht? Die Ankündigungen der Veranstalter ließen Vorfreude aufkommen: "Die ‚Göttin der Berliner Leseszene', Kirsten Fuchs, der Großmeister der Rock'n Roll-Literatur, Michael Sailer, Slam Poetry-Champion Micha Ebeling, sowie Moderator Jess Jochimsen erzählen von Abenteuern in der weiten Welt und von den Abgründen daheim.
Jetzt aber ein paar Eindrücke und Anekdötchen des Abends:
Nach der Begrüßung des Moderators mit den Worten, dass er sich geehrt fühle, und dass es schön sei, dass hier knapp 400 Menschen gegen 1200 Deppen im großen Zirkuszelt säßen (liebe LeserInnen, wer dort auftrat, sei an dieser Stelle egal bzw. muss von ihnen bei Interesse selbst recherchiert werden) begann der Abend mit einem einstimmenden Song. Bendiks (Gesang und Gitarre) und Jochimsen (Mundharmonika) coverten den Song "sad songs and waltzes" von Willie Nelson. "It's a good thing that I'm not a star, you don't know how lucky you are", jaja, so ist das. Jochimsen machte mit einem kurzen Text über seinen Sohn Tom weiter, der das ach so schöne Wort "ongarnieren" erfunden hat. Nun wissen es alle: Zu viel ongarnieren führt zu Kreuzschmerzen, hervorgerufen durch Rückenmarksschwund, denn dieses schmilzt dabei. Im Anschluss daran las Sailer aus seiner auf der taz-Wahrheitsseite erscheinenden Kolumne "Schwabinger Krawall" den Text "Ehrensache", der seinen Schauplatz in einer Kneipe hat. Ehrensache nämlich ist es, an seinem Geburtstag eine Lokalrunde auszugeben. Doch was tun, wenn eine Person diese Höflichkeit ignoriert und ablehnt? Es hat Folgen... Weiter machte Fuchs mit einer Liebeserklärung an "ihren" Stadtteil Kreuzberg und mit einem Text über die Garstigkeit der Frauen.
Immer wieder unterbrachen dabei Bendiks und Jochimsen mit ihren Gesangseinlagen die reine Textlesung, eine gelungene Methode, um dem durchweg konzentriert lauschenden Publikum eine kleine Erholungspause zu gönnen. So konnte es sich an dem Frank Zappa Cover "Elvis has just left the building" oder einem Liebeslied über die schöne Carla (vielleicht aber auch Karla) erfreuen.
Es war eine muntere und heitere Vorstellung, die die Autorin und die Autoren lieferten, und ein annäherndes Dauerschmunzeln konnte beim Publikum festgestellt werden. Die Stimmung war gut, und auch die Vorleserin und die Vorleser wirkten sehr entspannt, wenn sie biertrinkend auf ihrem auf der Bühne stehenden Sofa saßen und den anderen lauschten.
Nach einer aus Konzentrationsgründen wichtigen knapp halbstündigen Pause (in der man schon einmal den draußen herabstürzenden Regen begutachten konnte) gab es wieder ein bisschen Country-Musik und weitere Lesenacht-Beiträge.
Doch, ganz klare Sache, gute Unterhaltung auf ganz hohem Niveau. Dies schien offensichtlich auch die Mehrheit des Publikums zu denken, rein vom aufbrausenden Applaus nach Veranstaltungsende her zu urteilen.
Mit dem Nachdenken über die Frage, was die anderen machen, wenn beim Synchronschwimmen eine Person ertrinkt, mit dem darüber Grübeln, dass alle 47 Minuten ein Selbstmord geschieht und mit der Verinnerlichung, wie die Tage nach einer Trennung ablaufen ließ sich auch der Nachhauseweg bei sintflutartigen Regenfällen ertragen. Ein schöner Abend mit Geschichten aus dem Leben und vom Leben erzählend!
Tanja
Zuschauer: nach Aussage des Moderators knapp 400
Lesedauer: ca. 110 Minuten
ZMF-Freiburg
13.07.2007, ZMF, Zirkuszelt:
1 ZWEI 3 VIER ...
Jethro Tull in Freiburg
Nachdem Jethro Tull beim Zeltmusikfestival in Freiburg nun schon mehrere Male ihre Kunst zum Besten gaben, war es endlich an der Zeit sich von den viel gepriesenen Live-Qualitäten dieser Band zu überzeugen.
Vom Publikum mit Spannung erwartet, betrat Ian Anderson die Bühne, und nachdem er seinen feurigen Blick in die Runde geworfen hatte stimmte er mit seiner Harp ein Blues- Intro vom allerfeinsten an, welches Martin Barre mit seiner Gitarre nach wenigen Takten zu begleiten begann. Leider sollte dieser kraftvolle und magische Moment jäh gestört werden, als der Teil des Publikums, der sich wohl auf einem Heino- Konzert wähnte, sein musikalisches Unvermögen in der Form öffentlich bekundete, dass er lautstark begann, die Viertel mit nervtötendem Klatschen durchzuhämmern. Merklich beeindruckt und durchaus irritiert trugen die durch langjährige Bühnenerfahrung abgehärteten Vollblutmusiker dieses Thema souverän bis zum nächsten Stück, bei dem nun die ganze Band mit einstimmte.
Nach wenigen Takten scheiterten nun auch die wenigen verbliebenen untalentierten Mitklatscher am "zweifachen" Rhythmus (5/4) dieses Stückes, und es verblieb der gebührende Raum für die Musik, die uns diese hervorragend auf einander eingespielte Combo darbot. Mit einer musikalischen Reise durch die vergangen Jahrzehnte der Rockgeschichte, die Jethro Tull durch ihren unverwechselbaren Stil mitgeprägt hatten, ließen die Musiker ihre zeitlose Musik neu erklingen. So honorierte dann auch das Publikum jede Darbietung der Künstler mit tosendem Applaus, was in gewisser Weise ja nicht ganz uneigennützig war, bot sich doch in diesen Momenten die Gelegenheit die Luft im Zirkuszelt durch das heftige Gefuchtel der Hände ein bisschen zu bewegen um sich wenigstens kurzfristig der Illusion von Erfrischung hinzugeben.
Es war wohl allein der drückenden Schwüle zu verdanken, dass die Bewegungsfreude des Publikums sich in Grenzen hielt, und nur ein paar wenige Hartgesottene zu beobachten waren, die sich, zu den teilweise verzwickten Rhythmen, ausgelassen in einer Art Tanz bewegten.
Barde, Troubadour und Hofnarr: Ian Anderson.
Während der 107 Minuten Spielzeit zog sich Ian Anderson nur einmal (nach 45min) von der Bühne zurück und überlies dem Rest der Band unter Führung von Martin Barre das Feld, der die Gelegenheit nutzte mit einem Instrumental-Stück sein Können unter Beweis zu stellen, wobei es bei aller Liebe nicht gelang das Publikum darüber hinweg zu täuschen, das es eben doch nur ein Pausenfüller war. Zum Ende des Konzerts erlösten uns die Musiker dann nach einer kleinen Zugabe heischenden Pause mit 'Locomotiv Breath' und brachte noch einmal im "pulsierenden Wahnsinn der dampfenden Lok" die Kolben zum knirschen.
über das Festivalgelände breitete die Nacht langsam ihren dunklen Mantel mit seinem farbigen Saum, und bot sich unaufdringlich für künftige Ereignisse dieser Art als Kulisse und Zelt.
RR
Spieldauer: 107 Minuten, handgestoppt
Jethro Tull waren diesen Abend:
Ian Anderson: Gesang, Querflöte, Gitarre
Martin Barre: Gitarre, Blockflöte
David Goodier: Bass, Glockenspiel
John O'Hara: Keyboards, Ziehharmonika, Blockflöte
James Duncan: Drums, Percussion
ZMF-Freiburg
Homepage von Jethro Tull
06.07.2007:
Eine musikalische Sternstunde - Faithless
Endlich einmal schönes Wetter an diesem ZMF-Freitagabend, was viele dazu veranlasste, es sich auf den Rasenhängen neben dem Zirkuszelt bequem zu machen. Doch so manche(r) wird wohl für den Beginn des Faithless-Konzertes zu spät gekommen sein, denn wer konnte damit rechnen, dass diese pünktlich um 8 Uhr ohne Support die Bühne betreten würden? Und so kam auch die Autorin in ziemliche Zeitbedrängnis: Von der Arbeit direkt zum ZMF-Gelände radeln, Eintrittskarte abholen, unter Begleitung zum Fotografieren in den Graben, und da spielten sie bereits. Keine Zeit für eine ach so wohlverdiente Zigarette... Und als sie noch damit beschäftigt war, den Fotoapparat einsatzfähig zu machen, begannen Faithless mit ihrem zweiten Lied, gleichzeitig einem ihrer größten Hits; "Insomnia" mit der unglaublich einprägsamen Textzeile "I can't get no sleep" und einem Nachdenken über die Schlaflosigkeit. Ein oder zwei Lieder später gaben sie auch schon den nächsten großen Hit, "God is a DJ" zum Besten, während sie - die Sprache ist von der Autorin - nach wie vor auf der Jagd nach guten Fotos war und noch gar nicht so richtig die Musik wahrnehmen konnte.
Doch die Fotografier- Möglichkeit hatte nach fünf Liedern ein Ende, die Zigarette kam an die Reihe, es wurde ein gemütliches Plätzchen zum Tanzen gesucht und dabei, endlichendlich, konnte ein erstes wirklich genussvolles Wahrnehmen der sechs auf der Bühne sich bewegenden Briten beginnen. Allein diesen zuzuschauen war ein Erlebnis. Sänger, Gitarrist, Bassist und Schlagzeuger, dazu die Frau an den Keyboards und all den elektrischen Geräten, und zu guter letzt die Percussionistin, die sich hinter unzähligem Krams wie Congas, Bongos, Becken, Schellen und Rasseln aller Art verschanzte. Live gespielte Elektromusik, was gibt es Schöneres! Und es war groß, ganz große Klasse, was Faithless darboten.
Alexander Heisler verliert wie gewohnt ein paar Worte Bei beeindruckend gelungener Lichtshow fühlte man sich im Zelt wie in einer Großraumdisco, in der die Massen rhythmisch tanzen und klatschen, mit der einzigen Ausnahme vielleicht, dass das Faithless-Konzert deutlich altersgemischteres Publikum anzog als eine Disco, ja sogar Familien waren zu sehen.
Nach abwechslungsreicher Musik und zwischenzeitlichen gesangslosen Elektrostücken war ein weiterer - soll damit gesagt sein einer von mehreren - Höhepunkt der Song "Music Matters" vom fünften und neuen Album "To All New Arrivals". "For all those who stood up and were counted, for all those for whom money was no motive, for all those for whom music was a message, I want to thank you"; es trifft zu, was bei einer Plattenkritik im Internet zu lesen war, nämlich "Worte, die inspirieren, Musik, die bewegt". Und nach der Aufforderung "I wanna see more hands in the air", übrigens einem der äußerst wenigen an das Publikum gerichteten Sprüche, folgte dann auch "I Want More" (Album: "No Roots").
Mehr und mehr fragte sich die Autorin, wie man es überhaupt durchhalten kann, permanent zu hüpfen, zu springen und zu tanzen, und dabei auch noch zu singen oder Instrumente zu spielen? Es wirkte schier unglaublich, welch Feuerwerk die "Londoner Eleganz-Elektroniker" (ebenfalls im Internet zu lesen) mit ihrer Elektro-Dance-Trip Hop-Musik auf der Bühne abbrannten.
'World's famoust DJane': Sister Bliss
Aber, und das ist nichts Neues, alles hat ein Ende. Und so gingen nach Verbeugungen der gesamten Band und einem "supergeil" des Sängers nach 90 Minuten ganz großer Live-Musik, und dies kann eigentlich nicht oft genug wiederholt werden, im Zelt die Lichter an. Das Publikum wollte es nicht wahrhaben und blieb zum Großteil noch minutenlang recht schweigsam stehen, doch es war vorbei. Die Erinnerung, die bleibt; auch daran, und dies soll nicht unerwähnt bleiben, dass Faithless keine überteuerten Merchandise-Artikel zum Verkauf anbot. Es gab nämlich gar keine! Dies an einem Abend, an dem sie (und damit ist mal wieder die Autorin gemeint) so gerne eine Platte gekauft hätte!
Tanja
Zuschauer: ca. 1700
Spieldauer: 90 Minuten
ZMF-Freiburg
Homepage von Faithless
Faithless beim Stimmen-Festival 2005
04.07.2007:
Balkanbeats bewegen
und Goran Bregovic mit seinem "Wedding and Funeral Orchestra" die Massen
Bregovic kommt also. Was werden da nur für Erinnerungen wach? Erstmal freilich an seine frühere Band Bijelo Dugme ("weißer Knopf"), mit der er von 1974 bis 1988 im Ostblock der Hit war. Und cineastisch mindestens Emir Kustricas Filmhighlights "Underground" und "Arizona Dream", zu denen er die Musik schrieb. Ein Muss also?
Auf alle Fälle scheint er vielfältig bekannt zu sein: das sich allmählich im Zirkuszelt einfindende und bunt zusammen gewürfelte Publikum passt so recht in keine Schublade und legt diese Vermutung nahe. Für etwas Irritierung beim Betreten des Zelts sorgt die Bestuhlung, "Balkanbeats" zum sitzen?
Alexander Heisler verliert wie gewohnt ein paar Worte zum Musiker, bevor die Bläser des "Wedding and Funeral Orchestras" in traditioneller Kleidung durchs Zelt einmarschieren, sich ein Thema zuwerfend, variierend eine schöne Klimax aufbauen. Beim Erreichen der Bühne tritt noch der Trommler hinzu, das Set, an dem er hockt, ist nur schwerlich als Schlagzeug zu bezeichnen, aber er bedient es ganz ordentlich und vor allem voller Elan.
Unter tosendem taktsynchronem Applaus erscheint Goran Bregovic mit den beiden Sängerinnen auf der Bildfläche, sie in Trachten und mit lustigem Kopfschmuck gekleidet, er ganz in Weiß mit E-Gitarre und so musizieren sie fleißig los. Nach ganzen zwölf Minuten ist das Intro beendet und Bregovic stellt Band und Programm des Abends vor.
Wedding or Funeral?
Am Bild ändert sich dann nicht mehr viel, musikalisch auch nicht wirklich, einmal nimmt Bregovic das Xylophon zur Hand, dessen Bedienung sich leider auch nicht komplexer gestaltet als die Töne, die er sonst aus seiner Gitarre lässt, aber darum geht's ja auch nicht. Jene Gitarre war anfänglich nur sehr leise zu hören, erst durch wilde Gestikulation, Pfeifen und tötende Blicke hinter die Bühne ändert sich das. Dann will er mehr von seinem Mikrofon auf den Monitor, ein andermal erschließt sich mir nicht, warum er nörgelt, auf alle Fälle passt seine grimmige Art gen hinter der Bühne nicht zum Dauergrinsen, das dem Publikum und seiner Band gilt. Letzterer ist die Routine deutlich anzumerken. Gelegentlich tippt der Meister auf seinem Mac rum, den er mitgebracht hat, manche Töne scheinen aus ihm zu kommen. Doch die Performance haut rein, die Menschen im Zelt sind schon lange aus dem Häuschen und tanzen auf Gängen und Rängen.
Das erschwert den Gang aus dem Zelt zur Toilette ganz ungemein, sodass ein Bier für den Rückweg angebracht scheint. Auch die freundlichen Thekenkräfte haben bereits bemerkt, dass sich die Bässe aus dem Zelt nur unwesentlich von denen einer Dorfdisko unterscheiden, die Konversation wird länger.
Dann gehen wir wieder zur ‚hudba do pochodu' (Marschmusik), wie der Tscheche zu sagen pflegt.
Die dudelt unvermindert fort, die Ausdauer des Publikums ist beachtlich. Jenes entlässt Bregovic auch nicht, als er kurz vor zehn zum Ende kommen will und er legt noch mal zwanzig Minuten drauf, dann ist's aber aus.
Mein Blick ist schon ein bisschen vernebelt, aber die Euphorie in den Augen der Menschen, die das Zelt verlassen, ist nicht zu übersehen. Wenn sich Massen bewegen, bedarf es dazu keiner großartigen musikalischen Vielfalt.
Der Abend wird immer lustiger, mit rustikal bepelzten Menschen, die Tabak an den Mensch zu bringen versuchen, später sehe ich sogar japanische Ritter im Spiegelzelt, der mitgereiste Politikredakteur erspäht eine Kellerassel, die zwischen den Dielen verschwindet, die Soulsängerin am Ende ist aber wahrhaftig ein Traum, ganz andere Kategorie eben als Bregovic, was soll's.
P.aule
Spieldauer: 1h58 netto, handgestoppt
ZMF-Freiburg
Homepage von Goran Bregovic
03.07.2007:
Eine gigantische Stimmungsshow einer Punkrockband
Der Versuch einer Wiedergabe
Nach der Vorband "Mess" aus Konstanz, vier Jungs die sich, nun, wie könnte man es sagen, an Melodic-Punk versuchten, betraten die Beatsteaks, der Hauptact des Abends, um kurz nach 21 Uhr die Bühne. Die fünf sympathischen Männer aus Berlin sorgten mit ihrem "Hallo Freiburg im Schwarzwald" auch gleich für die ersten Begeisterungsstürme im Zelt. Doch dann folgten deutliche Worte, die sie spontan noch sympathischer machten und sich gegen zwei Jungs im roten T-Shirt richteten, die sich wohl zu sehr und aggressiv dem Pogo hingaben. "Ihr seid hier nicht die Chefs! Wir wollen zusammen Spaß haben!"
Nach der Feststellung, dass das Publikum noch zu leise sei, folgten die ersten Hits: "Badfish", ein Sublime-Cover, "I don't care as long as you sing" (Album: Smack Smash) und "Jane became insane" (Album: .limbo messiah). Danach war die Stimmung im Zelt bei dem positiver weise deutlich altersgemischten Publikum endgültig gigantisch, was die Band mit einem "es ist ein gutes Zeichen, es tropft von oben" und "lasst uns das verdammte Zelt auseinandernehmen" quittierte. Eine fast Gänsehaut hervorrufende Bombenstimmung wurde sowohl seitens des Publikums als auch der Band, die offensichtlich großen Spaß an diesem Abend hatten, verbreitet. Da war es kein Wunder, dass auf die Ansage "Freiburg, Feuerzeuge raus, aber noch nicht anmachen" zumindest nahezu alle (denn das Zelt war voll davon) Feuerzeugbesitzerinnen und -besitzer reagierten und diese auf Kommando zum Glühen brachten. Ein wunderschöner Anblick, und ziemlich erstaunlich, wie viele Leute Feuerzeuge in der Tasche haben! Nun ja, es ist eigentlich nicht unbedingt eine positive Tatsache, dass eine Masse auf ein einziges Kommando reagiert, aber in diesem Falle, komisch aber wahr, es wirkte gut, richtig gut sogar.
Die Stimmungsshow ging weiter: Bei "Atomic love" (Album: Smack Smash) kletterte Sänger Arnim Teutoburg-Weiß auf einen das Zirkuszelt tragenden Pfeiler, ließ die Menge unter sich enger zusammenrücken und die Hände in die Luft strecken, um dann singend aus einigen Metern Höhe sich in eben jenes fallen zu lassen.
Daraufhin folgte ein kleiner musikalischer Bruch, und das auf deutsch im Berliner Dialekt gesungene "Hey Du" (Album: Wohnzimmer EP) wurde zum Besten gegeben. Eine tränendrüsige und doch schöne Liebesballade, "denn du bist schön, sogar schön, auch wenn du weinst"!
Nach 75 Minuten Spieldauer war nach Plan der Veranstalter die Zeit für die Beatsteaks abgelaufen, die sich damit so gar nicht abfinden wollten: "Schönen guten Abend, wir sind die Beatsteaks aus Berlin! Unser erstes Lied heißt..." Und so ging es noch ein bisschen weiter, bis dann nach insgesamt 95 Minuten die Lichter im Zelt angingen und die Putzkolonne auf der Bühne mit Wischen begann. Und auch diese Prozedur ging ein bisschen weiter, bis, ja bis die Beatsteaks für einen allerletzten Song nochmals die Bühne betraten - vor bereits halbleerem Zelt, aber einer überschäumenden Euphorie.
"Wie kannst du bei den Beatsteaks ruhig sitzen bleiben?", fragen die ärzte auf ihrem Hit "Unrockbar". Das ist eine richtig gute Frage, und für den Abend in Freiburg lässt sich nur sagen: Obwohl es mehr als genügend Sitzplätze im Zelt gegeben hätte, niemand, aber auch gar niemand blieb ruhig sitzen, geschweige denn, dass überhaupt jemand saß, mal abgesehen von ein paar wenigen "ich muss da hin, obwohl mir die Musik nicht gefällt"-Medienvertretern. Wer nicht da war, hat was verpasst, ganz klare Sache. Der angeblich erspielte weitreichende Ruf als exzellente Liveband hat sich voll und ganz bewahrheitet, und so einige andere Bands hätten sich diesen Auftritt mal anschauen sollen!
Tanja
Zuschauer: ca. 2200
Spieldauer: ca. 1h40
Beatsteaks sind:
Arnim Teutoburg-Weiß (Gesang)
Peter Baumann (Gitarre, Backing Vocals)
Bernd Kurzke (Gitarre)
Torsten Scholz (Bass)
Thomas Götz (Schlagzeug)
ZMF-Freiburg
07.07.2007, Montreux, Miles Davis Hall:
Sound der in keine Schublade passt
'The Good, The Bad And The Queen' übertreffen die hohen Erwartungen
Hohe Spannung lag in der Luft der ausverkauften Miles Davis Hall als um 20.45 Uhr Leben auf die Bühne kam. Vor dem von Bassisten Paul Simonon gestalteten Bühnenhintergrund, einer graubraunen Westlondoner Industrielandschaft, setzte sich ein weibliches Streichquartett in klassischer Formation im Halbkreis und eröffnete das Konzert mit einer traurigen, schmachtenden Melodie.
Nach kurzer Zeit betraten dann Damon Albarn, Mastermind der Band Blur, Paul Simonon von The Clash, der Gitarrist der Gorillaz, Simon Tong, Tony Allen der Superstar der Weltmusik und ein Gastkeyboarder die Bühne, empfangen von herzlichem Applaus.
Um es vorweg zu nehmen: The Good, The Bad and The Queen zogen mit ihrem Auftritt das Publikum von der ersten Sekunde an in ihren Bann. Sparsam mit Worten zwischen den Songs, zelebrierten sie die Stücke ihres bis jetzt einzigen gemeinsamen Albums mit einer unglaublichen Intensität. Ein glasklarer Sound, (alle Mischer dieser Welt bitte bei diesem in die Lehre gehen), der jede noch so feine Nuance hörbar machte, tat sein übriges um dieses Konzert in die Top Ten meiner persönlich Erlebten zu hieven.
Eigener Sound, eigener Stil: Paul Simonon (Foto: Daniel Balmat - Montreux Jazz Festival Foundation)
Tony Allen bearbeitete sein minimalistisches Drumkit mit einer gnadenlosen Präzision so dass jedem klar wurde, warum nicht Wenige diesen viel jünger wirkenden 66-jährigen zu den besten Drummern der Welt zählen.
Paul Simonon der wesentlich frischer aussah als der Fender Bass den er schon zu Clash-Zeiten gespielt hatte, trug einen knurrenden, schnarrenden Groove bei, der sich kongenial mit Allens Gimmicks ergänzte. Dabei zupfte er die Saiten fast ausschließlich mit dem Daumen, wobei er den Bass unter den rechten Arm geklemmt hielt.
(v.l.): Damon Albarn, Paul Allen und Paul Simonon (Foto: Daniel Balmat - Montreux Jazz Festival Foundation)
Simon Tong spielte eine alte Fender Mustang, die er variantenreich zu bedienen wusste. Auch er stand ganz im Dienst der Band und spielte selten eine Hauptrolle.
Damon Albarn schließlich, der zwischen Mikrofonständer und Keyboard wechselte, sang mit seiner unverwechselbaren Stimme die Texte mit wirklicher Inbrunst und lies sein unabstreitbares Charisma auf das Publikum wirken.
Immer wieder konnte die Musik in Staunen versetzen ob des Einfallsreichtums der Protagonisten. Es fällt schwer diesen Sound in eine Schublade zu packen. Grandios ist keine gängige Kategorie also versuche ich es mit dem Erklärungsversuch von Paul Simonon: "Die einzige Art, wie ich die Musik beschreiben könnte wäre: modernisierter Folk mit Biss."
The Bishop
Zuschauer: ? ausverkauft
Spieldauer: 85 Minuten
The Good,The Bad And The Queen sind:
Damon Albarn: Gesang, Tasten und Hohner Melodica
Paul Simonon: Bass, Gesang
Tony Allen: Schlagzeug
Simon Tong: Gitarre
Montreux Jazz Festival
28.06.2007:
Politsatire aller Kategorien
Matthias Deutschmann, Georg Schramm, Leo Bassi und Speedmoik eröffnen das 25. ZMF
Die Veranstaltung leitet zehn nach Acht Uhr ZMF-Präsident Alexander Heisler ein, den Rettern und Unterstützern des 25. ZMF dankend. Manche davon finden sich in den mutig besetzten ersten Reihen, u.a. anwesend sind Ex-OB Rolf Böhme und MdL Gundolf Fleischer, der Applaus des Publikums gilt allen.
Von den drei Kabarettisten, die abwechselnd durch den Abend führen, lässt es sich keiner nehmen, ein paar Worte zum ZMF zu verlieren. Deutschmann bemerkt einen Arzt (o.g. A. Heisler), der sich selbst reanimiert habe, Schramm hat's von der Abhängigkeit der Badener von einem schwäbischen Finanzminister, was ihm vereinzelte wie verzweifelte Buh-Rufe einbringt und Bassi hat sich unter Zukunft was anderes vorgestellt als die uralten ZMF-Headliner Joan Baez oder Jethro Tull. Auch Speedmöik, die mit Bass, Gitarre und Schlagzeug den musikalischen Rahmen geben, greifen Altes auf und verpacken es neu, sie projizieren beispielsweise das Badenerlied und den Radetzkymarsch in Hardrock; selbst die Pickelhaube fehlt nicht bei den drei illustren Musikern aus Berlin.
Deutschmann, der bekanntlich in Freiburg seine Karriere begann, greift anfangs Lokales auf. Wie aus "Wir sind Linke" "Wir sind Finke" wurde, dass 550 Jahre universitäres Doping genug sind, wie gut NATO-Generälen die Wohlfühlstadt gefällt; aber vor allem, welchem grandiosen Antinazi im hiesigen Münster gehuldigt wurde, denn schriebe die CDU die Geschichtsbücher, wäre Filbinger ein Mann, der "seit 1934 im SA-Widerstand kämpfte und seit 1937 die NSDAP unterwanderte". Oettinger habe schon kapiert, inwiefern ein Krieg die Rente und die Staatsverschuldung beeinflusse.
Als Deutschmann im späteren Verlauf des Abends wieder die Bühne betritt, bemerkt er den Publikumsschwund der ersten Reihe und nutzt die Gelegenheit, auch bei den anderen Parteien auszuteilen. Da war der Selbstmordversuch der SPD, sich mit der Schlaftablette Scharping umzubringen, da war Fischers Buch "mein Weg zu mir … und wie wir wieder auseinander gingen" und überhaupt: "lieber Saddam hängen, als Axel Schulz boxen sehen".
Beim Bedienen des Humors besser als am Cello: Matthias Deutschmann (l.); sicher an der Gitarre: Gary Schmalzl von 'Speedmoik'
Zum Schluss seiner selektiven Beobachtungen versucht er sich am Cello, zusammen mit Speedmöik bei Hendrix' "Purple Haze", aber den Humor des Publikums vermag er besser zu bedienen als das Cello, von dem er hin und wieder abrutscht.
Georg Schramm erscheint als der cholerische Rentner Lothar Dombrowski für das Publikum und wettert in alle Richtungen. Erstmal ist der CDU-Kultusminister Helmut Rau dran, der mit seiner Hauptschulpolitik mitverantwortlich sei für die "Pisakrüppel". Doch es seien in Richtung Gemeinwohl keine Fehlentscheidungen der Politiker ("Eierdiebe und Ignoranten"), die uns hierher gebracht haben, nein, alles wohl intendiert, denn "schließlich brauchen wir Idioten, sonst isst ja keiner das Gammelfleisch", Konsumenten sind wichtig für das Wachstum. Seinen zweiten Teil widmet er der Gesellschaftsgruppe im Abseits: den Rentnern.
Das Schlagwort des "sozialverträglichen Frühablebens" darf durchaus im Zusammenhang mit Salmonellenvergiftungen und eierlastiger Zwangsversorgung in Altersheimen gesehen werden. "Wenn der alte Mensch nicht aufpasst, ist er ganz schnell der Neger in diesem Land … zum Glück gibt's noch die echten, die sind erstmal dran." Da läuft einem beim Lachen des Publikums ein kalter Schauer über den Rücken ... alle werden alt. Und wenn Dombrowski bei seinen Ausführungen zu einem Arztbesuch das Gesundheitssystem geißelt, dann gipfelt er in "'Nach uns die Sintflut' ist falsch, wir SIND die Sintlut!" Schramm zerlegt mit enormer Schärfe unsere Gesellschaft und führt mit beißender Rhetorik an ihre Abgründe heran. Wenn einem dann in Selbsterkenntnis das Lachen im Halse stecken bleibt und man das Johlen der Zuhörer vernimmt, könnte man meinen, sie stürzten sich gern grinsend in diesen hinab.
An diesem Abend entlarvte noch einer das Publikum, mitunter noch direkter: Leo Bassi.
Sein Auftritt läuft anders, er ist nicht nur Kabarettist, er macht politisches Theater. Sein Einmarsch ins Zelt ist groß inszeniert - die Mundwinkel tief, der Blick finster schreitet er im Spotlight durch die Masse zur Bühne, lässt sich eine Leiter anlegen, um sie zu betreten, zu beleben. In verblüffend einfachem Englisch pointiert er komplexe Situationen dieser Welt, beispielsweise den Irak und den mittleren Osten, in wilden Aktionen setzt er die Gefühle um. Was ist denn nun das erfolgreichere Branding, Jesus oder Coca Cola? Er hat eine Dose jenes Getränkes in der einen, etwas Spitzes zum Anstechen in der anderen Hand, es ertönt schneller Metalrock im Zelt, er springt herum, brüllt "we are here" … der Fotograf mit der dicken Nikon aus der ersten Reihe verpisst sich schon mal. Es passiert - und bleibt nicht bei der Dusche einer Dose, er holt gleich noch einen ganzen Wagen voll und legt sich einen Dosengurt um, der schwer an Selbstmordattentäter erinnert.
Zerstört und in einer Lache aus klebendem Siff liegend reflektiert er seine Aktion, die Sinnlosigkeit, aber er resigniert nicht, die Flammen im Kopf leuchten durch die Augen und er macht sich daran, sie raus zu lassen, mit einer brennenden Fackel und einem Benzinkanister. Die Nervosität im Publikum steigt und nachdem im scheinbar finalen Moment alles beim Alten bleibt, weil Wasser nun mal nicht brennt, kann Bassi dem Publikum seine induzierten Gefühle und Reaktionen erörtern.
Auch bei der folgenden Aktion, einem undefinierten Zuschauer eine Ladung Rasierschaum an den Kopf zu werfen, während er durchs Publikum schreitet, seziert er Angst, Sensationssucht und wie nah beide in unserer Psyche beieinander liegen. Das sei Demokratie, einer bekommt's ab, alle anderen wollen's sehen.
Rampensau Leo Bassi, rücklings auf Scherben liegend.
Der Show noch nicht genug, lässt er sich fast nackt in einer Art Fremd-Patriotismus schwarz-rot-gülden anmalen, sein Blut beim späteren Scherbenbad will er einfach für nichts geben, zu viele Menschen haben bereits das ihrige für Familie, Vaterland oder Religion geopfert. Daneben ist seine artistische Einlage, ein Klavier auf den Füßen tanzen zu lassen, schon nebensächlich.
Doch eines verliert der Clown den ganzen Abend nicht: die Hoffnung auf die Zukunft. Wir müssen uns auf "first life power" konzentrieren, damit wir nicht in second life enden.
Durch seine Interaktion mit den Zuschauern und Tabubrüche verleiht er seinen Botschaften eine ungemeine Kraft, dieser Abend dürfte allen Besuchern im Gedächtnis bleiben. Und so verlassen auch wir diese sarkasmusreiche ZMF-Eröffnung in der Freude, hier ganz große Satire erlebt zu haben.
P.aule
Zuschauer: ca. 3000
Spieldauer: ca. 2h20 (netto)
Heimatseite von Speedmoik
Heimatseite von Matthias Deutschmann
Heimatseite von Georg Schramm
Homepage von Leo Bassi
ZMF-Freiburg
Matthias Deutschmann am 30.04.2007 im Freiburger E-Werk
06.07.2007, ZMF Freiburg:
Dreizehn 17 Hippies
Spektakel im Spiegelzelt
Warum in alles in der Welt heißt die Berliner Band, die sich 1995 gründete, 17 Hippies und am Ende stehen "nur" 13 Leute auf der Bühne? Ein Frage, der man möglicherweise einmal in einem Interview nachgehen sollte, doch dazu war spontan dann doch keine Zeit, so dass man abwarten muss, bis die 17 Hippies im November wieder in Freiburg weilen.
Doch zunächst einmal beglückten sie ein ausverkauftes Spiegelzelt auf dem Freiburger Zelt-Musik-Festival mit ihrer Anwesenheit. 13 Leute auf einer Bühne, kann da überhaupt noch was Sinnvolles herauskommen? Die Antwort ist ein eindeutiges "ja, sehr viel sogar". Wenngleich die ein oder andere Feinheit im akustischen Spektakel untergeht, immerhin sind es mehr als 13 verschiedene Instrumente, die die Hippies, die so gar nicht hippiesk aussehen, auf die Bühne bringen: Geigen, Akkordeon, Contrabass, Cello, Banjo, Gitarre, Ukulele, Posaune, Trompete, Klarinette, Saxophon, Quer- und Blockflöte, Orgel, Euphonium, Calimba und sicherlich ist dem Autor dieses Textes auch noch irgendwas entgangen…
Ihre in Frankreich als "Berlin Style" bezeichnete Musik ist eine Mischung osteuropäischer Melodien und Rhythmen mit französischem Chanson und amerikanischer Folkmusik. Gesungen wird auf Deutsch, Englisch und Französisch. Gedanklich steht man förmlich um ein großes Grillfeuer herum, wenn die Hippies aufspielen, singt, pfeift, tanz, und klatscht mit. Beinahe jedes Stück eine kleine Sensation, wer da ruhig stehen bleiben kann, dürfte wahlweise an einer Polyglobulie oder Polycythaemia vera leiden, was ja dann auch eine Entschuldigung ist.
Aber eben nur fast jedes Stück, zwei, drei in den guten zwei Stunden könnte man dann auch eher weglassen. So beispielsweise ein französisch betextetes Schunkellied, oder auch ein Stück, das von der Machart eher als einfach zu bezeichnen ist, und lange nicht alle Möglichkeiten der Band widerspiegelt.
Gegen Ende des Konzerts wird dann noch ein weiterer Klarinettenvirtuose auf die Bühne geholt, Perry Robinson- der Festivalchef Heissler verkündet stolz, dass dessen Vater auch schon Stücke für Joan Baez geschrieben hat - obwohl sich der Junior auch schon genug Meriten selbst verdient hat, als dass man ihn über seinen Vater definieren müsste. Der 69-jährige fügt sich mit seinem Solo hervorragend in die Gesamtperformance ein.
Dichtes Gedränge auf der Bühne, trotzdem Platz für alle...
Nach anderthalb Stunden geht die Band erstmals von der Bühne, doch der Saal tobt und fordert die zwingend notwendige Zugabe, die natürlich auch gegeben wird. Nach der zweiten kurzen Pause, kommen die Hippies nochmals auf die Bühne, aber nur, um diese nach vorne hin wieder zu verlassen und sich inmitten des Zeltes und der ZuschauerInnen nun unplugged ihre letzten Stücke zu spielen. Gegen Ende wird das Publikum aufgefordert, sich hinzusetzen, was weitgehend befolgt wird. Man könnte vermuten, dass jetzt das "Publikumsberuhigungsprogramm" eingesetzt wird, um danach weitgehend unbehelligt das Konzert beenden zu können. Doch weit gefehlt, es ist nur das Intro zu einem fulminanten Schlussakt, die Hippies geben noch mal Alles bis sie nach zwei Stunden dann hinter der Bühne verschwinden und dort vermutlich einen sensationellen Auftritt feiern.
Sie haben die Möglichkeit die 17 Hippies live zu erleben? Unbedingt hingehen!
jh
Spieldauer: 2h
Zu-Spät-Quotient: 8
Die 17 Hippies sind:
Antje Henkel: Klarinette, Saxophon
Carsten Wegener: Kontrabass
Christopher Blenkinsop: Ukulele, Bouzouki, Gesang
Daniel Friederichs: Violine
Dirk Trageser: Gesang, Gitarre
Elmar Gutmann: Trompete
Henry Notroff: Klarinette
Kerstin Kaernbach: Violine
Kiki Sauer: Akkordeon, Harmonium, Gesang
Lutz "Lüül" Ulbrich: Banjo, Gitarre
Rike Lau: Cello
Uwe Langer: Posaune, Euphonium
Kruisko: Akkordeon
als Gast: Perry Robinson, Klarinette
Heimatseite der 17 Hippies
Konzertermine der 17 Hippies finden Sie auch in unserem Kalender
ZMF Freiburg
30.06.2007, Freiburg:
Alles nicht mehr so wie früher
"MTV Campus Invasion" auf dem Uni-Gelände am Flugplatz
"Wir sind Helden" kommen nach Freiburg? Endlich! Noch dazu auf den Uni-Campus am Flugplatz, ein Heimspiel quasi. Die Helden live waren bisher immer der Hammer. Die Sachzwänge nötigten allerdings dazu, zwei der vier Bands anzuhören, wegen denen man heute sicher nicht da war. Die Combo "Wir sind Helden" seit dem Konzert auf dem Lörracher Marktplatz das ich miterleben durfte, fast schon so was wie die persönlichen Helden - ich kann mich noch sehr gut an diese laue Sommernacht beim Stimmen-Festival 2004 erinnern, und die Helden spielten sich in mein Herz.
Heute gab's aber erst mal zwei eher überflüssige Bands.
"Perry Farrell's Satelitte Party" - eingängiger schlichter Rock, wenig beeindruckend, zusammengewürfelt mit einem völlig besoffenen Sänger mit Weinflasche in der Hand. Und so was um 18:30 Uhr live in MTV? Die Hippe, deren Mikrofon eher Alibifunktion hatte und eigentlich nur dazu da war, mit dem Arsch zu wackeln machte die Sache weder besser noch ansehnlicher.
Und dann kam "Moneybrother", die Kollegin meint, der Sänger habe eine "voll tolle Stimme" - ich finde sie bisweilen etwas tuntig. Es wurde besser, aber die eintönige Tätigkeit des Kamerakranschwenkers war trotz allem interessanter, als die Geschehnisse auf der Bühne. Der Kranschwenker läuft während des gesamten Konzerts im Halbkreis hin und her und zieht resp. schiebt den Kran und vollführt dabei noch eine Schwenkbewegung nach oben oder unten. Die Ingenieure in uns werden geweckt und die Frage steht im Raum - kann man das so sagen? Die Frage steht im Raum? Auf einem Festivalgelände? Wir werden dieser Frage an anderer Stelle nachgehen. - Es wurde sich also gefragt, warum man dafür nicht Elektromotoren einsetzt. Die Vorlesung Stromrichterantriebe geht mir durch den Kopf und dabei auch der Prof, der von den ganzen KommilitonInnen so hochgeschätzt wurde. Nur mir war er immer irgendwie suspekt, wohl weil er - wie sich später herausstellen sollte - ein menschliches Arschloch war. Genug der Ausschweifungen, auch das Stichwort sinusquadratförmige Beschleunigung kommt durchaus noch in den Sinn - eine Möglichkeit so einen Antrieb ruckelfrei zu gestalten - zumindest was die elektrische Seite betrifft. Ob die Maschinenbauer dann auch noch adäquate Getriebe dafür hinbekommen? Eine Frage, die sich letztlich Richtung untergehender Sonne in Wohlgefallen auflöste, es war geschafft, auch Moneybrother war weitgehend unbeschadet hinter sich gebracht.
Carmelo Policichio hat es in der letzten Ausgabe von Der Sonntag so auf den Punkt gebracht: Alles was die Helden machen, seien es Begleitbriefe zu Demotapes, die er als Konzertveranstalter von irgendwelchen Bands ständig bekommt, etwas zu nett formulieren, oder er auch nur die Homepage der Helden anschaut - es ist ihm einfach alles irgendwie "zu nett".
Das Lörracher Markplatzkonzert 2004 hat hohe Maßstäbe gesetzt. Und heute wird man das Gefühl nicht los, Chico hat irgendwie Recht. Allerdings kommt die Nettigkeit dann auch noch ein Tick zu professionell daher. Allüren waren bei den Helden dereinst nicht zu beobachten, und wenn, dann so betont selbstironisch, dass man es ihnen sicher nicht übel nehmen konnte. Allüren gibt es auch heute nicht zu bestaunen, aber das Programm der Witzigkeit wird gekonnt heruntergespult. Irgendwie auch noch weitgehend witzig, aber leider alles andere als spritzig.
Frontfrau Judith Holofernes, in Freiburg aufgewachsen, wünschte sich "so sehr, dass ein paar meiner Lehrer von damals da sind, die damals dachten, 'das Leben wird ihr die Flausen schon austreiben' - haha". Sie ist seit einem Jahr mit Pola Roy verheiratet, über dessen Einwürfe von seinem Schlagzeug aus besser das Mäntelchen des Schweigens gehüllt wird. Vielleicht hat er einen schlechten Tag gehabt - anders ist nicht zu erklären, wie so eine kluge Frau dazu kommt, mit dem gemeinsam Kinder in die Welt setzen.
Die Dramaturgie des Konzerts lies ebenso Wünsche offen. Wie kann man bereits als zweites Stück einen seiner größten Hits ("Die Reklamation") spielen? Wirklich schön wurde es erst gegen Ende, mit einer wunderbaren Harpeinlage von Mark Tavassol bei "Aurelie" das fliesend in einer schönen Coverversion von The Cures "Why Can't I Be You" überging. Langsam sprang der Funke über, doch nach "Nur ein Wort" verzogen sich die Helden von der Bühne um die übliche Zugabenrufpause einzulegen. Und das konnte man andernorts auch schon mal fordernder erleben.
Die Zugabe wurde mit "Denkmal" eröffnet und da gab es nun wirklich kein Halten mehr auf dem Platz, zwei Stücke weiter dann, nach schlappen 80 Minuten, der endgültige Abgang von der Bühne. Zum nächsten Heldenkonzert geht man auf jeden Fall mit weniger Erwartungen, wenn man überhaupt noch mal hingeht. Die Helden sind nicht mehr die meinigen.
jh
Spieldauer:
Perry Farrell's Satelitte Party: ca. 60 Minuten
Moneybrother: ca. 60 Minuten
Wir sind Helden: ca. 80 Minuten
Zu-Spät-Quotient: 5
Heimatseite von "Wir sind Helden"
29.04.2005: Wir sind Helden, Zürich
16.07.2004: Wir sind Helden, Lörrach
02.07.2007, ZMF, Zirkuszelt:
"Are you ready?"
Irie Révoltés, Karamelo Santo, The Locos in Freiburg
Pünktlich auf die Minute bildete die Heidelberger Band Irie Révoltés den Auftakt des Abends im großen Zirkuszelt. Es war keine leichte Aufgabe für die achtköpfige Band, am frühen Abend um 20 Uhr das Publikum mit einer Mischung aus Ska, Reggae, Ragga, Dancehall und HipHop zum ausgelassenen Tanzen und Feiern zu bewegen! Irie (jamaikanisch: glücklich/fröhlich) Révoltés (französisch: Aufsässige) schafften es doch nach und nach immer besser. Mit ihrer Gesangsmischung aus Französisch und Deutsch, oftmals mehrstimmig dargeboten, und mit ihrer musikalischen Stilvielfalt bewegten sich langsam aber sicher auch die noch so sattgegessenen Menschen. Soweit verständlich artikulierten Irie Révoltés mit ihren kritischen und politischen Texten ihren Unmut über die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und thematisierten so manche Missstände. Feiern und Hüpfen wollten sie mit dem Publikum - und dies zum Beispiel auch für die Leute, die nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm noch immer im Knast sitzen.
Mit zwei Bläsern (Saxophon und Trompete), Keyboard, Bass, Gitarre, Schlagzeug und zwei Sängern - oder vielmehr Rappern - machten die Jungs ordentlich Stimmung, so dass ihrer Aufforderung "he kommt mal bitte in die Knie... für ne Sekunde... he kommt mal runter" ein Großteil des Zeltpublikums Folge leistete.
Irie Révoltés
Leider blieb keine Zeit für eine Zugabe, pünktlich nach 45 Minuten Spielzeit musste die Bühne geräumt werden und die Umbaupause für die zweite Band, Karamelo Santo aus Argentinien, begann.
Ja, Karamelo Santo (spanisches Idiom: das heilige Bonbon) sind schwierig zu charakterisieren und vielleicht am ehesten mit den Musikrichtungen Ska, Punk, Reggae, Rock und ein bisschen Salsa zu beschreiben. In eine bestimmte Schublade passen sie wahrlich nicht.
Die politische Thematik ist auch bei dieser Band allgegenwärtig, thematisieren sie doch - und wieder mal: soweit verstanden bzw. nachgelesen - die schwierige soziale und politische Lage in ihrem Land. Dennoch ist der Stimmungs- und Partyfaktor der achtköpfigen Combo, im übrigen gut befreundet mit Manu Chao, enorm. Allein die Bläser (Saxophon und Posaune) sowie das ab und zu eingesetzte Akkordeon wirkten so temperamentvoll und abwechslungsreich, dass einem - selbst wenn man nicht wirklich Fan dieser Art von Musik ist - das Stillstehen als nahezu unlösbare Aufgabe erschien.
Karamelo Santo
"The people one roots, America one roots, Africa one roots!", so einer der ziemlich Reggae-esk anmutenden langhaarigen Dreadlocks tragenden Sänger. Und man merkte, das Publikum hatte das Abendessen verdaut, und bei dem "get down" der Band waren, es wirkte schon fast ein wenig beängstigend, nahezu keine stehenden Menschen mehr zu sehen; die Masse kam in übung!
Dank des unermüdlichen Applauses einer verschwitzten Menschenmenge durften die Argentinier dann doch auch - trotz bereits gespielter 45 Minuten - nochmals für eine Zugabe auf die Bühne.
Dann hieß es geduldig warten, über 45 Minuten dauerte der Umbau für die dritte und letzte Band, The Locos (spanisch: die Verrückten) aus Spanien. Mit gut nach vorne losgehendem Punk und Ska begeisterten diese sieben Jungs einschließlich "Pipi", ehemals zweiter Sänger und Showman der wohl bekannten und legendären Band "Ska-P", das nun mehr völligst hemmungslos sich bewegende Publikum. Auch diese Songtexte waren zum Teil politischen Inhalts, wenn es zum Beispiel um die Flüchtlinge vor Südeuropas Küsten ging. Doch dabei durfte die Show nicht zu kurz kommen. Ob in Polizeikostüm, als Pfarrer verkleidet oder mit drei gigantischen Riesenluftballons, die Stimmung im Zelt war gut, und bei der Eigenversion von "Don't worry be happy" schallte ein lautstarkes "la la la la la la la lala" durch die tanzende Menge. Ob es so geplant war oder am überwältigenden Applaus lag, The Locos waren inklusive ihrer vehement geforderten Zugaben länger als eine Stunde auf der Bühne.
Was bleibt in Erinnerung? Ein Abend zum Tanzen, Hüpfen und Schwitzen bei stimmungsvoller Musik dreier - ausschließlich von Männern besetzter - Bands mit äußerst ungewöhnlichen Namen! Und noch etwas hatten sie gemeinsam: Ein "are you ready?" in die Menge scheint der Lieblingsspruch aller zu sein! Nach dem "jaaaaaaaa" des Publikums zu urteilen war der Abend ein voller Erfolg!
Tanja
Zuschauer: ca. 1100
Spieldauer: 4h (brutto)
ZMF Freiburg
24.06.2007:
Danke, Bobby!
Bobby McFerrin im Burghof Lörrach
Das ich das noch mal erlebe.
Nach jahrelanger Abstinenz von Live-Konzerten jeder Art musste ich mich nicht lange bitten lassen dem Redaktionsassistenten nach Lörrach zu folgen, wo uns im Burghof ein besonderer musikalischer Leckerbissen geboten werden sollte. Feinkost. Nachdem Bobby McFerrin zuletzt mit den Wiener Philharmonikern durch Europa tourte, wird er sich uns heute Abend so präsentieren wie ich ihn kennen und schätzen gelernt habe: Der Künstler und seine Stimme.
Endlich angekommen nahm ich noch gelassen die Anweisungen für die Fotografen entgegen, und lies beim Betreten des Konzertsaals auch die die Spannung zurück die sich bei mir während der Anreise aufbaute.
Den Anweisungen folgend suchte ich mir neben den anderen Fotografen einen Platz nahe bei der Bühne während die Vorhänge vor den Türen zugezogen wurden und nun die dezent ausgeleuchtete Bühne in den Mittelpunkt rückte. Ohne große Verzögerung betrat Bobby McFerrin die Bühne, nahm entspannt seinen Platz auf einem Stuhl ein, und gönnte sich einen Schluck klares Wasser, bevor er das Mikrofon in die Hand nahm und binnen weniger Augenblicke den Saal mit seiner Stimme füllte.
Während er sich 15 Minuten in Trance sang nutzte ich die Gelegenheit die mir gegeben war, einige Aufnahmen zu machen und stellte bald verblüfft fest wie sehr ihn die Arbeit der "Paparazzi" irritierte, so dass er sich konsequent von uns abwandte. Naja, er war ja auch nicht gekommen um beim "Gesichter-Festival" in Lörrach zu singen. Nachdem ich meine leidige Pflicht getan hatte, kehrte ich zu meinem Sitzplatz zurück und gab mich entspannt dem hin, was nun folgen sollte. Ich könnte mir an dieser Stelle einen Knoten in die Zunge reden um, die Technik dieses Mannes zu beschreiben, der durchaus in der Lage ist gleichzeitig eine Bass und Rhythmuslinie zu halten und zu variieren, während er auf die gleiche Weise nebenher eine Hauptthema verfolgt, dass er geschickt mit kleinen und durchaus humorvollen Akzenten zu versehen versteht, doch wem nützt's?
Dieser Mann ist mit Sicherheit ein Meister der Improvisation, der Herr des Augenblicks, der spielend in der Lage ist einen mit seiner Musik zu verzaubern. Ein Geschichtenerzähler, der mit seiner Musik Bilder zu malen versteht und doch Raum lässt für einen selbst.
Schon beim zweiten Stück begann er das Publikum mit einzubeziehen und schuf so eine gelöste Atmosphäre von "alles kann, nichts muss", oder vielleicht besser: "sei du selbst." (Do be do be do). Mittlerweile hatten sich wohl die Musiker unter das Publikum gemischt mit denen er am 30. Juni ein Weiteres Konzert in Arlesheim (CH) geben wird.
Woraus dann anschließend eine kleine Jazz-Improvisation mit einem seiner Sänger erwuchs. Dem Folgte, als dann das gesamte Ensemble (insgesamt 9 Sängerinnen und Sänger) die Bühne betrat, ein herrliches, musikalisches Zwiegespräch, das das gesamte Publikum zum Lachen brachte. McFerrin nutze die Gunst der Stunde und lud eine junge Dame auf die Bühne, die er bat zu seinem Gesang einen Tanz zu improvisieren. Gekonnt fing er die anfängliche Unsicherheit der Tänzerin auf und lies ihr den nötigen Raum sich zu entfalten, was ihr auch tatsächlich gelang. Abermals bat er eine Sängerin auf die Bühne und nutze die Zeit des Wartens daraus musikalische Kurzweil zu zaubern. "Bernise is coming Down" lies er uns wissen und Bernise kam von der Tribüne herunter.
Eine imposante Person, Mitglied des Sacred Sound Ensemble (am 29.6. in Arlesheim auf dem Domplatz zu sehen) mit einem unglaublichen Stimmvolumen stimmte mit ihm einen Gospel an, der aus der Ewigkeit zu klingen schien. (Waren das nicht Tränen die sich Bobby von der Wange wischte?) Nach knapp zwei Stunden endete das Konzert, nicht ohne das der Gastgeber sich zuvor ins Publikum begab um den ein oder anderen zu einem kleinen Duett zu animieren, was ihm auf seine spielerische, kindliche und humorvolle Art immer gelang. Erstaunlich, was alles so in uns schlummert.
RR
Zuschauer: ca. 850 (ausverkauft)
Spieldauer: 1:55
Stimmen-Festival
Burghof, Lörrach
Homepage von Bobby McFerrin
31.05.2007:
Zonen-Antje (17) im Glück: Titanic-Boys lesen in Berlin
Titanic-Boygroup im Festsaal Kreuzberg
Das zweite Mal innerhalb einen Jahres hat es geklappt - ein Berliner Veranstalter hat meinen Namen doch tatsächlich auf seine Gästeliste geschrieben. Ob dieser Tatsache noch etwas ungläubig und äußerst erstaunt gehe ich also am Donnerstagabend in die Adalbertstraße, um meine Begleiter abzuholen und jene mit in die Skalitzerstraße, zum besagten Veranstaltungsort, zu nehmen. Am Einlass mache ich denselben dummen Fehler wie immer: ich lasse mir den Stempel auf den Handballen drücken, weil das die einzige Stelle ist, die nicht von Kleidungsstücken bedeckt wird. Ebenfalls wie immer wird sich dies am Morgen nach dem Spektakel rächen, wenn sich irgendwelche bizarren Motive an noch seltsameren Stellen abgebildet haben. Im Inneren des Festsaals suchen wir uns zielstrebig einige der noch zahlreichen freien Plätze in der ersten Reihe aus, vermutlich trauen sich die Berliner nicht so weit nach vorn.
Wenig später geht es los. Oliver Maria Schmitt, Martin Sonneborn und der derzeitige Chefredakteur, Thomas Gsella, betreten die Bühne. Schmitt schenkt sich als erstes einen guten Schluck des bereitstehenden Weißweines ein, die beiden anderen Herren öffnen jeweils ein Bier, ich nehme an, einzig und allein zu Zwecken der Stimmölung. Was dann folgt ist ein Konglomerat einiger der besseren "Briefe an die Leser", Videoaufzeichnungen, die eindeutig belegen, wie Martin Sonneborn im Sinne der "Die Partei" Schindluder mit unbedeutenden Offiziellen treibt, Gedichte über beispielsweise Berufe und anderer herzerfrischender Kokolores. Insgesamt geht es mächtig ausgelassen zu, sowohl die Lesenden als auch die Zuhörer bedienen sich anständig am Alkohol. Je später es wird, desto mehr Flaschen hört man auf Seiten der Rezipienten klirren, die Herren Kommunikatoren haben sich da besser im Griff, weder die Zunge
wird schwer, noch die Bewegungsabläufe haben zu leiden. Lediglich Thomas Gsella verabschiedet sich zweimal während der Lesung - einmal im Hauptteil, das andere Mal während der Zugabe - in die sanitäre Einrichtung, zumindest ist dies meine Vermutung. Zuletzt verschmäht der Poesiemessias nach einem Hustenanfall das Glas mit Wasser und öffnet sich lieber noch ein Bier an einer weiteren Flasche. Als Lesereisender ist man offenkundig abgeklärt. Nach zweieinhalb Stunden gerät unterdessen die Luft aus dem Ereignis, am deutlichsten wird mir dies bewusst, als ich meine Sitznachbarin dabei erwische, wie sie an der Schulter ihres Liebsten friedlich schlummert. Dieser Umstand entgeht augenscheinlich auch den Akteuren nicht; so langsam neigt sich die Darbietung dem Ende. Nach einigen schwächlichen Zugaberufen findet noch ein kleiner Gedichtvortrag statt und dann wird auch schon eine gute Nacht gewünscht. Als Gimmick werden im Anschluss auf der Bühne noch handsignierte, aktuelle Titanic-Ausgaben für schlappe zwei Euro veräußert, was von uns allerdings nicht genutzt wird, denn schließlich liegt das Magazin jeden Monat bei fast einem jeden im Briefkasten.
Statt dessen genehmigen wir uns noch ein Feierabend-Bier in einer angrenzenden Destille und führen sinnentleerte Gespräche. Weniger sinnlos hingegen war resümierend betrachtet der Abend, wenngleich ein wenig zu umfassend.
Und übrigens, während ich hier sitze und diese Berichterstattung in die Tasten tippe, prangt auf meiner Stirn der Stempelabdruck einer blitzenden Glühlampe.
Antje T.
Zuschauer: ca. 150
Lesedauer: gut drei Stunden
Heimatseite Titanic
Heimatseite Festsaal Kreuzberg
17.05.2007, Kaserne Basel, Rosstall:
Frischer Wind im Pferdestall
Mardi Gras.BB überzeugen auf der ganzen Linie
Leider fanden sich nur ein paar handvoll Leute ein, um den Donnerstagabend im Rosstall der Basler Kaserne zu erleben. Durch die außergewöhnliche Besetzung der Band neugierig geworden, reifte der Entschluss das Konzert zu besuchen.
In klassischen New-Orleans-Brass-Band-Besetzung, verstärkt durch die Gitarre von Bandleader und Songwriter Jochen "Doc" Wenz und zwei Schlagzeugern, die sich den Job gerecht teilten; (so spielte Sir Erwin Ditzner die Snare Drum, die er sich vor den Bauch gehängt hatte und das große Zymbal, Javier De La Poza übernahm die Basstrommel und das kleines Zymbal); betraten die Musiker um 21.30 Uhr die Bühne.
Und was folgen sollte war ein Konzert vom Allerfeinsten. Die Stilmischung aus 70er-Jahre-Soul und Big Band-Swing mit afro-kubanischem Feuer und schepperndem Trümmer-Blues traf vom ersten Ton an den Geschmack des Publikums. Die Bläser spielten miteinander, nacheinander, gegeneinander übereinander und ernteten immer mal wieder Szenenapplaus, wenn sie das kurzfristige Chaos an Sounds harmonisch wieder auflösten.
Sänger Jochen "Doc" Wenz erwies sich als charmanter Confencier und fand kurzweilige überleitungen zwischen den einzelnen Songs. So bedankte er sich bei den ca. "70 Anwesenden, aber gefühlten 100 Zuschauern."
Doc Wenz und seine Assistenzärzte.
Von Song zu Song erhöhte die Band die Schlagzahl. Immer schräger und fetziger wurden die Bläsersätze und der Spaß an ihrer Musik war den Jungs in jeder Minute des Auftritts anzumerken.
Nach 70 Minuten verlies die Band die Bühne, kam aber ohne sich lange bitten zu lassen, für zwei Zugaben zurück. Der zweite Song der Zugabe, wenn ich mich nicht schwer verhört habe unterlegt von einem stampfenden Santana Sample (Djngo), ließ noch einmal die Luft im Rosstall dampfen.
Sänger und Gitarrist "Doc" Wenz und der Mann an den Turntables, Dj Mahmut mit Namen, verließen dann die Bühne. Das war es dann gewesen dachte wohl so mancher als der Mann am Sousaphon noch mal einen Basslauf anstimmte, die Bühne verließ und sich mitten im Saal aufbaute. Seine Bandkollegen folgten ihm, einer nach dem anderen in den Groove einsetzend.
Sie formierten sich zum Kreis und zeigten nochmals was sie für grandiose Einzelkönner sind. Jeder bekam noch mal Raum für ein Solo und umringt von ihrem Publikum genossen sie dann den lang anhaltenden Beifall.
Eine klasse Band ohne jede Starallüren bot eines der besten Konzerte seit langem. Diese Kapelle kann man guten Gewissens weiter empfehlen.
The Bishop
Zuschauer: 70, gefühlt 100
Mardi Grass.BB sind:
Doc Wenz - Gesang, E-Gitarre, Blues harp, Maracas
Reverend Krug - Sousaphon, Spiritual guidance
Sir Erwin Ditzner - Kleine Trommel, Großes Zymbal
Javier De La Poza - Große Trommel, Kleines Zymbal
Blue Grass Röser - Posaune
Robert Solomon - Posaune
Mr. Bishop - Trompete
Gary Offsteen - Tenorsaxophon, Flöte, Klarinette
Lömsch Le Mans - Baritonsaxophon
Dj Mahmut - Turntables
Heimatseite der Kaserne Basel
Homepage von Mardi Gras.BB
15.05.2007, Jazzhaus, Freiburg:
Fusion a la Al Di Meola
Fu|si|on die; -, -en <lat.; "Gießen, Schmelzen">: 1. Vereinigung, Verschmelzen...
Am 15. Mai stieg Al Di Meola, seines Zeichens heller Stern der Fusions-Galaxie am Jazzhimmel, herab ins Freiburger Jazzhaus, sein neues Album "Consquences Of Chaos" vorzustellen.
"The new cd has Chick Corea, Steve Gadd, John Pattitucci, Barry Miles and the guys in my group, Ernie-drums, Mario-keys, Gumbi-perc, and Victor Miranda on basses from Cuba." (Al Di Meola) - So viel auf ein Mal … von Allem ein Bisschen und nichts wirklich? Oder große Synergie?
Mit Blick auf Bio- und Discographie hat der Mann schon zu viel zu Gutes aus seinen Fingern gelassen, um Sülze zu erwarten. Jedoch bringt die Fusion von Großem auch ein erhebliches Monopolbildungspotential mit sich.
Neugierig also begibt man sich unter die Menschen im Jazzhaus, deren Vielfalt an dem Abend doch beträchtlich ist. Im Schnitt circa mitte Vierzig, allerdings breit gestreut.
Lesen können nicht alle, immer wieder Kippenausdrücker, "Rauchen bitte nur im Foyer" - warum hab' ich ihn mir nicht auf der AVO-Session angehört? Da gehört Rauchen wenigstens noch zum guten Ton.
Die Töne des Abends kündigt viertel nach Acht der Vorsitzende des Jazzhaus e.V., Michael von Gee, selbst an, es stehen auf der Bühne: Tony Escada (Schlagzeug), Mike Pope (Bass), Gumbi Ortiz (Perkussion), Mario Parmisano (Keyboard), Al Di Meola (Gitarre), im Hintergrund ein Unbekannter, stets mit diversen Wasserträgertätigkeiten beschäftigt und dazwischen Plexiglasscheiben, vermutlich zum Lenken des Schalles der Instrumente.
Schaut ganz anders, als er spielt: Al Di Meola.
Nach zwei Warmmachern stellt der Meister seine Erfüllungsgehilfen vor und wer's bis dahin noch nicht bemerkt hat, bekommt anschließend mit beeindruckenden Soli in einem Song vom neuen Album bewiesen, dass die's richtig können, jeder für sich. Im Verlaufe des Abends noch, dass sie's ebenso wollen, auch zusammen.
Es folgt "Azzura" von "The Guitar Trio" und bis zum Ende des ersten Sets nach einer guten Stunde legen die Herren hervorragend synchronisierte Spielfreude an den Tag. Dass Al seiner Paul Reed Smith mit Röhrenverstärker wie der elektronischen Akkustikklampfe von Ovation die Töne mit unglaublicher Geschwindigkeit entlocken würde, war vorher klar, genauso die komplexe Flexibilität seiner Rhythmenwechsel. Aber auch wenn es beispielsweise dominant wirkt, wenn er Melodie und Basslinie gleichzeitig spielt, so gibt das Mike Pope viel Freiraum zu Anderem auf seinem sechssaitigen Bass.
Das Zusammenspiel von Gitarre und Keyboard ist ebenso genial wie das zwischen Bass und Schlagzeug und Perkussion … und wenn dann in der viertelstündign Pause jemand verlautbart, dass das eine "Ich-kann-geilere-Soli"-Veranstaltung sei, entbehrt das jeglicher Grundlage.
Das zweite Set wird ruhig angegangen, dann zugespitzt. Lateinamerikanische Einflüsse sind nicht zu überhören, mal Fernöstliches, dann werden Melodien und Rhythmen zerlegt, um klanggewaltig in elanvollem Neuen wieder aufzuerstehen, ein Traum. Bisweilen rockig, viel stehend bringt er die Kraft seiner Musik ins Publikum, das einhellig begeistert ist.
Zwanzig nach Zehn das erste Ende, die Menschenmenge verlangt eindeutig nach mehr und bekommt das auch, z.B. mit "Race with Devil on Spanish Highway" von "Elegant Gypsy" .
Die letzte Zugabe dürfen noch einmal Schlagzeug und Perkussion in lieblichem Wechselspiel beginnen, als viertel vor elf das Konzert dann aus ist, wird das euphorische Publikum nicht einfach so entlassen, so fröhlich und locker, wie die Musiker vor der Bühne plauschen ist offensichtlich, dass hier alle Spaß hatten.
So viele Einflüsse so bombastisch zu vermischen und perfekt wie spielerisch leicht zu präsentieren, nein, zu leben, das ist eindeutig mehr als die Summe der einzelnen Teile.
Um mit dieser Musik zu verschmelzen, muss man kein Gitarrenspezialist oder Musiktheoretiker sein, ein Bisschen Liebe zu Tönen reicht da schon.
Und da der Meister auch meint: "Jazz ist so intellektuell, er zielt auf das Gehirn, aber rührt nicht das Herz", jetzt schnell zu "The Girls" an einen Ort, wo Rauchen erlaubt ist und die Menschen von deutlich profanerer Musik bewegt werden.
P.aule
Zuschauer: ausverkauft
Spieldauer: 2h30
Auf der Bühne:
Al di Meola: Gitarre
Tony Escada: Schlagzeug
Mike Pope: Bass
Gumbi Ortiz: Perkussion
Mario Parmisano: Keyboard
Jazzhaus Freiburg
Homepage von Al di Meola
30.04.2007:
Der Untergang III
Matthias Deutschmann "Die Reise nach Jerusalem", Freiburg-Premiere im E-Werk
"Sechs Hitler-Darsteller aus sieben Nationen bei Sandra Maischberger auf der Couch". Eigentlich eine ganz spaßige Vorstellung, Helge Schneider mit Bruno Ganz bei Sandra auf der Couch. Helge würde sie alle in seiner genialen Art nicht ernst nehmen und keiner würde es merken, außer Sandra herself vielleicht, die das aber schelmisch hinnimmt.
Matthias Deutschmann ist also mal wieder unterwegs, mit seinem 11. Soloprogramm gab er die Freiburg-Premiere im E-Werk. Nominell eigentlich ein Heimspiel, hat der gebürtige Westerwälder doch in den 80er-Jahren in Freiburg sein Biologie-Studium abgebrochen, und seine lokalen Kenntnisse stellte er auch unter Beweis. Von Horben, über den Mundenhof bis zum Namen der CDU-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, er kennt eben alles, und jeden. Auch Volker Finke, aber den kennt wohl derzeit in der Republik sowieso jeder, nur Deutschmanns Ausführungen lassen den gemeinen Finke-Fan mit einem Fragezeichen im Gesicht zurück. " 'Wir sind Finke' - ich dachte es müsse 'Wir sind Linke' heißen. Wenn wir alle Finke sind, wer ist dann er? Finke ist der SC!" Wobei sich dann die Frage aufdränge, wer dann Stocker sei. Letztlich schlägt er die "große badische Lösung" vor: "Finke bleibt Trainer und wird Präsident" - vermutlich nicht die dümmste Variante, um "das größte badische Drama seit Kasper Hauser" zu lösen. Ob Finke aber tatsächlich, wie von Deutschmann prophezeit, einmal auf einem kleinen Eselchen durchs Martinstor reiten wird darf getrost bezweifelt werden. [Bei Finke hört wohl der Spaß auf, Herr Redakteur, hä?!, the säzzeress]
Doch das ist selbstverständlich thematisch lange nicht alles, was Deutschmann zu bieten hat. Die Sozialdemokraten kommen am heutigen Abend relativ gut weg. Deutschmann ist es wohl zuwider auf am Boden liegende nachzutreten. Nur retrospektiv wird die ära Scharping als "der Versuch der SPD, sich mit einer Schlaftablette umzubringen" betrachtet. Dafür bekommt Günter Grass sein Fett ganz gut weg: er "resigniert nicht, sondern signiert auf Lesereise - mit viel Schmackes beim Doppel-S". Und ob die von der Berliner CDU verliehene Ehrenbürgerwürde für Wolf Biermann nicht schlimmer sei, als die Ausbürgerung?
"Bild rettet die Welt mit Wadenwickeln für den Nordpol", "Hitler im Kino, Oettinger im Freiburger Münster - um ein Haar hätte Filbinger den Oettinger mit in die Tiefe gezogen und dem Land damit einen letzten Dienst erwiesen." Und es müsse wohl ein Zeichen sein, "die Polkappen schmelzen und in Berlin wird uns ein Eisbärbaby geboren", das könne kein Zufall sein. Mit solchen Gedankengängen lässt Deutschmann gelegentlich nochmals etwas von seiner alten Brillanz aufleuchten, unvermeidlich die Deutschlandlied-Interpretation auf seinem Cello.
Eine Sensation ist die Idee eines RAF-Musicals, "bundesweite Premiere in der Stuttgarter Hans-Martin-Schleyer-Halle, gesponsert von Heckler und Koch", mit "GSG-9-Ballett 'der Tanz auf den Schienen von Bad Kleinen' ", überhaupt die RAF, dieser Tage ja wieder topaktuell, Deutschmanns Filmidee: "Der Untergang II - heißer Herbst 77". Der Untergang III ist dann Deutschmanns Untergang selbst. Konnte man ihn früher getrost als "brillant" bezeichnen, laviert er sich mit seinem neuen Programm zwang- und krampfhaft von einer Pointe zur nächsten. Die großen Zeiten des Matthias Deutschmann sind wohl vorbei.
jh
Zuschauer: 412 (ausverkauft)
Spieldauer: ca. 120 Minuten
Heimatseite von Matthias Deutschmann
E-Werk Freiburg
Bericht zu Matthias Deutschmann im Mai 2006
24.04.2007:
"Here we are now, entertain us" - "für maulfaule, zottelige, flaumbärtige Schwachsinnige"
Sascha Bendiks im Vorderhaus Freiburg
Sascha Bendiks und sein Begleiter Simon Höneß waren der Auftakt für die dritten Freiburger GeFLüGELtage, bei denen Skurriles und ganz Individuelles rund um den Flügel geboten wird. Mit seinen "Hard Rock Variationen in Es-Moll für Flügel und Akkordeon" begab sich der Freiburger End-Dreißiger Bendiks zurück in die Zeit seiner Jugend und entdeckte jenen damals so bedeutenden Hard Rock neu. Das besondere daran? Nur mit Stimme und mit Tasten, in gewagten und garantiert noch nie gehörten Versionen, ganz ohne die ach so bedeutende Gitarre, und dann auch noch mit Instrumenten wie Flügel und Akkordeon.
Mit "I love Rock`n Roll" (Original von Joan Jett) starteten Bendiks und Höneß - wie im Vorderhaus gewohnt - pünktlich in den Abend. Der Refrain im Duett gehaucht, die Worte im Wechsel, und sowieso ganz anders als das Original, das also war unter Variationen des Hard Rock zu verstehen.
Damit das Publikum auch wusste, worum es ging, folgte eine ironisch witzige und doch irgendwie wahre Einführung in das Genre Hard Rock. So konnten alle Anwesenden unter anderem lernen, dass dies nämlich eine Musik für "maulfaule, zottelige, flaumbärtige Schwachsinnige" ist.
Dann wurde, so Bendiks, "mit einem energischen Werk über Satanskult" weitergemacht. "Hells Bells" von AC/DC stand an, und dabei hatten die beiden scheinbar riesigen Spaß auf der Bühne, die Zusehenden und -hörenden auch. Denn wer hat schon einmal einen Flügelspieler gesehen, der sein Instrument mit dem Hammer bearbeitet, bei den Worten "hells bells" auch live ein hohes Glöckchen anschlägt und dabei auf der Bühne total abgeht?
Bei "Jump" (Original von Van Halen), eines der Lieder ohne Akkordeon, dafür aber mit Mundharmonika, konnte man einem langen Flügel-Solo lauschen und einen sportlichen - bei jedem "jump" sich erhebenden - Pianisten erleben.
Dann eine Ausschweifung über den "Königstod" der Hardrocker: An eigener Kotze ersticken, so wie zum Beispiel auch Bon Scott, der deswegen zurecht im Hard Rock Olymp weilt und dem eine Ode gewidmet wurde. "Highway to Hell", wieder ein AC/DC-Klassiker, doch bei Bendiks und Höneß in vollendetster Balladenform, ruhig auf einem Barhocker sitzend dargeboten. Großartiger Schmalz triefte...
Richtig gerockt wurde dann bei "TNT" von AC/DC und ganz gemäß der Devise "here we are now, entertain us" verabschiedeten sich Bendiks und Höneß mit einem entfremdeten und von Ballade bis Gegröle reichendem "Smells Like Teen Spirit" von Nirvana in die Pause.
Es ging unterhaltsam weiter mit Bendiks rauchiger Stimme . Mit "Ace of Spades" (Motörhead), mit "Smoke on the Water" (Deep Purple) und, so Bendiks, mit einem düsteren Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, dem deutschen Hard Rock. Was gibt es da Treffenderes als das auf Deutsch dargebotene "Ich liebe dich noch immer", mit einem kurzen Medley-Ausflug zum "Wind der Veränderung" von den Scorpions? Alles richtig gemacht!
Und eine Sache ist auch noch ganz wichtig: Guter Hard Rock ist intellektuell nicht greifbar, aber er erzählt große Geschichten, das meinten zumindest die beiden. Und so beendeten sie ihr Programm mit überlegungen zu der Frage, was der Teufel bei "Stairway to Heaven" rückwärts gesungen mitzuteilen hat. Vielleicht liegt seine Botschaft aber auch eher im vorwärts gesungenen Song? Man weiß es nicht, doch Rache am Satan zu üben kann nie verkehrt sein. "Stairway to Heaven" von Led Zeppelin, im Marschrhythmus und als Satansaustreibung - eine gewöhnungsbedürftige Variation.
Da das Publikum noch ein bisschen mehr wünschte, gab es nochmals "Hells Bells", diesmal in Balladenform und ein erneutes "TNT". Und über die Schlussworte, dass Hard Rock wahre Liebe sei, konnte jede und jeder auf dem Nachhauseweg nachdenken.
Bendiks und Höneß präsentierten eine gelungene Interaktion und ein tolles Zusammenspiel untereinander, einen kurzweiligen Wechsel zwischen Gesang und Gerede, sie boten Songs in großer Kreativität und Entfremdung vom Original, sie waren lustig, unterhaltsam und komisch - und dabei musikalisch immer gut. Entertainer eben! Ein kleines "Aber" jedoch, eine Kleinigkeit am Rande bleibt: im Original Hard Rock waren ganz gewiss nicht alle dargebotenen und variierten Songs, und so wäre eine Ankündigung mit "berühmte Klassiker der Rockgeschichte" oder so ähnlich deutlich treffender gewesen. Let there be rock!
Tanja
Zuschauer: ca. 100
Spieldauer: ca. 100 Minuten
Die Hard Rock Variationen boten dar:
Sascha Bendiks: Gesang & Akkordeon
Simon Höneß: Flügel & Gesang
Heimatseite von Sasche Bendiks
18.04.2007:
Ein würdiger Abschied - aber keine Würdigung
Blumfeld im Jazzhaus Freiburg
Sie geht zu Ende, die Zeit der Hamburger Band Blumfeld, die 1990 aus verschiedenen Bands hervorging und sich nach der Hauptfigur einer Kurzgeschichte von Franz Kafka benannte. Im Februar dieses Jahres hat der Bandleader und Sänger Jochen Distelmeyer in Absprache mit den anderen Mitgliedern die Auflösung der Band bekannt gegeben. Und wenn Zeiten zu Ende gehen, Bands sich auflösen, beginnt gleichzeitig - zumindest in den meisten Fällen - eine neue Zeit: die der Würdigungen und die der Resümees. Ein Resümee ziehen - das kann ich nicht, und dafür fehlt mir das bis heute konstante Interesse an Blumfeld; eine Würdigung schreiben - das will ich nicht, denn dafür ist mein zwiespältiges Verhältnis gegenüber Blumfeld zu bedeutend.
Aber was denn dann? Es folgt eine persönliche Wahrnehmungsbeschreibung meines ersten und wohl letzten Blumfeld-Konzertes.
Doch vorweg: Ich gehöre zu jenen Liebhaberinnen und Liebhabern Blumfelds, die sich im anbrechenden neuen Jahrtausend der Band abwandten, sich weitere der Alben wie "L'état et moi" (1994) herbeisehnten, und so wenig mit der nahe an Schlagermusik reichenden Wandlung der Band, die in den Alben "Jenseits von jedem" (2003) und "Verbotene Früchte (2006) gipfelte, anfangen konnten. Indie war weg, Blumfeld waren Pop in Reinformat und Schlager, seichte Musik, mit der Realität versöhnt. Soviel dazu. Aber es ging ja diesmal auch nicht darum eine neue Platte vorzustellen, sondern es war die Abschiedstour, und Blumfeld hatten angekündigt, eine bunte Mischung ihrer Lieder zu spielen.
Um 20:20 Uhr, draußen war es noch hell und die Sonne schien, betraten Blumfeld im dunklen Kellergewölbe Jazzhaus unter gedämpft blauer Bühnenbeleuchtung den Saal. "Hey Leute, wunderschönen guten Abend euch, wir sind Blumfeld aus Hamburg" tönte Jochen Distelmeyer zur Begrüßung. Soso, wer hätte das gedacht...; doch die etwa 300 Leute im angenehm gefüllten Jazzhaus spendeten warmen Applaus. Meine Skepsis dagegen war noch groß in jenem Moment. Sie wurde auch dadurch aufrechterhalten, wenngleich nicht noch größer, dass die Band niemals ihre Lieder mit dem Titel ankündigte. Das mag ich nicht, vor allem, weil mir die ersten Stücke recht unbekannt vorkamen, obwohl sie - dank sei den mich informierenden Blumfeld-Kennern - von der "L'etat et moi" waren. "Draußen auf Kaution" und "2 oder 3 Dinge die ich von Dir weiß" waren zwei der drei ersten Songs.
Dennoch: in kritischer Distanz entspannen, der (noch unbekannten) Musik lauschen, ein bisschen das Publikum beobachten und zwischendurch "Rauchen bitte nur im Foyer - danke" jenes Foyer aufsuchen, auch das kann einen netten Abend ausmachen.
Mein persönlicher Tiefpunkt war mit dem Lied "Der Apfelmann" vom Album "Verbotene Früchte" erreicht. Nein, dies war nicht, ist nicht und wird niemals meine Musik sein. Ein in hoher Stimme gesäuseltes "er ist der Apfelmann" des Bassisten, ein, so Distelmeyer, "happy song, der Mut machen soll", und ein Publikum, das die annähernde Nötigung der Band, doch lautstark im Rhythmus mitzuklatschen und "Apfelma-a-an" zu singen, dankend annahm. Durch Sprüche wie "Polizei, Polizei, ich habe eine Klatschlücke entdeckt" und "ich will eure Hände sehn" erntete die Band riesigen Applaus nach Liedende - nicht jedoch von mir. Ich weiß, ein bisschen ironischer Abstand zum "Apfelmann" wäre vielleicht erfrischend, schließlich weiß man doch nie, was einen bei Blumfeld erwartet. Dies ließ ich mir gerne sagen, doch es wollte einfach nicht so richtig gelingen.
Doch dann ging es bergauf mit meiner Stimmung, hervorgerufen durch Songs, die ich kannte, und die mich an Blumfeld der frühen und späten 90er Jahre erinnerten. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich plötzlich den Abend so hinnehmen konnte, wie er war, vergessen konnte, dass und warum mich die Band in den letzten Jahren genervt und enttäuscht hat. Vielleicht aber auch war Jochen Distelmeyer schuld, der plötzlich nicht mehr arrogant auf mich wirkte (was nicht heißen soll, dass er es jemals wirklich war), sondern gut gelaunt und ehrlich spaßig. Ich weiß es nicht, aber es ist auch egal. Die wunderschöne und sonore Stimme Distelmeyers jedenfalls, die interessanten, unterhaltsamen und dichterischen Liedtexte und die verspielten Gitarrenklänge; es war doch schön, einfach nur schön. Mit "Die Diktatur der Angepassten", "Graue Wolken", "Verstärker" oder "Kommst du mit in den Alltag" erreichte der Abend für mich seine Höhepunkte. Allerspätestens nach dem Solo-Auftritt Distelmeyers, in dem er "Tausend Tränen tief" in Gänsehautstimmung großartig und das Rauchen-bitte-im-Foyer-Schild ignorierend zum besten gab, war auch mir wieder definitiv klar: Eine tolle Band, und irgendwie am deutschen Pophimmel einzigartig. Und warum auch sollten sich Indie und Pop ausschließen?
"We say goodbye"! Mit einem melancholischen Schlussgesang und unter tosendem Applaus verabschiedeten sich Blumfeld nach über zwei Stunden Spieldauer von der Bühne - um für einen allerletzten Song noch einmal zurückzukehren. Dann war Schluss in Freiburg, ein persönlich schwieriger und doch würdiger Abschied!
Tanja
Zuschauer: ca. 300
Spieldauer: 136 Minuten (handgestoppt)
Blumfeld waren:
Jochen Distelmeyer (Gesang, Gitarre)
André Rattay (Schlagzeug)
Lars Precht (Bass)
Vredeber Albrecht (Keyboard)
Heimatseite von Blumfeld
Jazzhaus Freiburg
14.04.2007:
Sie wollen nur Spielen!
Tokio Hotel hinterlassen ihre Visitenkarte im Züricher Hallenstadion.
Was mich bewog die Redaktion zu Bitten ausgerechnet für das Konzert der momentan nervigsten Teenies Band eine Akkreditierung zu beantragen? Das war die Frage die ich in den Wochen vor dem Konzert am häufigsten beantworten musste.- Nun, aus purer Neugier wollte ich dem Konzert beiwohnen, vielleicht auch mit eigenen Ohren hören dass diese Kinderband völlig überbewertet ist und sie dann genüsslich in der Luft zereissen.
Kurz nach 19:00 Uhr betrat ich das Hallenstadion, bereit zu einem Verriss vom Allerfeinsten. Die Vorgruppe hatte ich verpasst, meine Enttäuschung darüber hielt sich jedoch in Grenzen. Ich hatte schlicht nicht daran gedacht, dass Tokio Hotel sehr junge Fans ansprechen und das Konzert daher früher beginnen würde als die sonst üblichen 20:00 Uhr.
Um 19:10 Uhr wurde das Publikum, das zu einem großen Teil aus sehr jungen Damen bestand, wie auf Kommando unruhig. Das Deckenlicht wurde gedimmt und die Bühne von hinten her erleuchtet. Die Halle begann zu beben, die einsetzende Mischung aus Kreischen und Trampeln brachte die Tribüne bedenklich zum Vibrieren. Minutenlang tat sich nichts außer dass der Lärm zum Orkan anschwoll; Teenies am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Nach Minuten des akustischen Wahnsinns entlud sich die Spannung in der Halle als die ersten Schläge auf die Basstrommel gefolgt von einem finsteren Gitarrenriff ertönten, in einer Explosion. Zu sagen dass das Publikum tobte wäre leicht untertrieben. Von den ersten Tönen an hatten Tokio Hotel ihre Fans voll im Griff.
Um es kurz zu machen. Nach dem zweiten Stück hatte die Band sich gefunden. Die Songs, 4- bis 5- minütige Stücke waren eingänglich und die Refrains allesamt zum Mitsingen, was das Publikum auch bereitwillig tat.
Tokio Hotel boten einen klasse Gig. Die vier Jungs benötigten keine ausgeklügelte Bühnenshow, ständige Possitionswechsel von Sänger, Gittarist und Bassist sowie viel buntes Licht genügten. Außerdem verschonte die Band das Publikum mit übertriebenen Rockstar-Posen jeder Art. Die Musik stand ganz klar im Vordergrund. Ein wenig nervig waren die konstruierten Geschichtchen, mit denen der Sänger den jeweils nächsten Song ankündigte, aber mein Gott, der Bengel ist 17Jahre alt.
Die momentane Tokio-Hotel-Welle hängt ganz sicher zu einem großen Teil an der geschickten Vermarktung, sowie am extravagenten Outfit der Jungs. Aber was soll's? Sind wir nicht früher auf David Bowie abgefahren, als dieser noch als Musiker Geltung hatte? Oder aktuell; pflegt nicht auch Marilyn Manson sein androgynes Outfit? Ein wenig Toleranz oder schlicht Erinnerungsvermögen würde einigen der oft bösartigen Kritiker von Tokio Hotel gut zu Gesicht stehen.
Die Jungs boten einen gelungenen Auftritt und haben live musikalisch bei weitem mehr zu bieten, als ich ihnen zugetraut hatte. Es war ein Rockkonzert, keine Frage. Ohne jedes Keyboardgewabbere, nur mit Gesang, Bass, Gitarre und Schlagzeug hinterließ die Band bei mir den Eindruck, dass sie keine Eintagsfliegen am Musikhimmel sein müssen. Diese Gruppe wird sich halten können. Das musikalische Potential ist da und die Band hat gute Chancen zusammen mit ihrem Publikum erwachsen zu werden.
The Bishop
Zuschauer: 9.000
Spieldauer: 95 Minuten
Tokio Hotel sind:
Bill Kaulitz (Gesang)
Tom Kaulitz (Gitarre)
Gustav Schäfer (Schlagzeug)
Georg Listing (Bass)
Heimatseite von Tokio Hotel
Goodnews.ch
11.04.2007:
Zweieinhalb Stunden Gänsehaut
Roger Waters spielt sich im Züricher Hallenstadion in die Top Ten der bisher erlebten Konzerte
Wer erinnert sich nicht gerne an Sommerfilmfestivals, wo "The Wall" von Pink Floyd schlicht Pflicht war, wer hat nicht schon mal mit "Wish You Were Here" im Ohr zuhause gesessen und nach der/dem Liebsten geschmachtet? Wer wollte nicht einmal Pink Floyd live erleben? Zumindest eine gab es da [und die Redaktionskollegin meint auch "den Typen mochte ich noch nie", the Säzzeress], aber, Ersatz war schnell gefunden, und so ging es bei strahlendem Sonnenschein gen Zürich. Wie früher, als wir noch mit stinkenden Punks unterwegs waren, einmal mehr zu spät dran. Der Unterschied zu früher: dieses Mal waren wir selber Schuld, bzw. hatten den Verkehr in Zürich einfach unterschätzt.
Unterwegs, noch auf einer Schweizer Autobahn, fielen uns Verkehrsschilder in Form von Anzeigetafeln auf, die im Bedarfsfall vermutlich Informationen über überlastete Straßen oder ähnliches präsentieren. Sie zeigten lediglich die aktuelle Uhrzeit, als wollten sie sagen: 'alles geht seinen Gang, alles tickt nach dem berühmten, präzisen Schweizer Uhrwerk'.
Zu spät kamen wir trotzdem und verpassten so die ersten Stücke. Als es in den Saal ging, wurde gerade "Have A Cigar" zum Besten gegeben. Schlimm, im Zürcher Hallenstadion ist Rauchverbot, in den Filmchen auf der gigantischen Leinwand hinter der Bühne wird aber permanent geraucht - eine Herausforderung an den gemeinen Suchtel sondergleichen. Wenn man der Verspätung etwas Positives abgewinnen wollte, könnte man an dieser Stelle anfügen, dass man zu "Wish You Were Here" eben noch nicht so ganz entspannt auf der Tribüne saß und so nicht in die Verlegenheit kam, das ein oder andere Tränchen abzudrücken.
Danach zwei Kompositionen vom "Final Cut"-Album, im Anschluss eines von zwei Stücken, die Waters nicht vor 1983 mit oder für Pink Floyd geschrieben hatte, sondern im Zuge seiner darauf folgenden Solokarriere. Zu "Perfect Sense", das sich auf dem 1992er-Album "Amused To Death" findet, eine sensationelle Szenerie auf der Kinoleinwand: Ein U-Boot fährt in ein gigantisches Stadion mit Wasserbecken ein, und beschießt eine Bohrinsel aus allen Rohren, bis diese schließlich explodiert. Das Hallenstadion wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Schon dafür hatte sich der Abend gelohnt, aber mit Effekten wurde sowieso nicht gegeizt: Die bereits erwähnte Kinoleinwand hinter der Bühne; Quadrophonie-Sound, der selbst auf der Tribüne des Hallenstadions noch perfekt unhallig war; diverse durch den Saal schwebende Astronauten und Schweine; die beinahe üblichen Leinwänden neben der Bühne, auf denen das Geschehen auf derselben übertragen wird; einem "Dark-Side-Laserprisma" das im Grunde das Cover des "Dark Side of The Moon"-Albums widerspiegelte und natürlich die reichlich eingesetzte Pyrotechnik. Insgesamt ein gigantischer technischer Aufwand. Man kann guten Gewissens behaupten, dass einem hier etwas fürs Geld geboten wurde.
Ein "neues" Lied von Waters, "Leaving Beirut" erzählt die Geschichte, wie er als 17-jähriger im Nahen Osten als Tramper unterwegs ist und gerät zu seiner persönlichen Abrechnung mit der Irak-Politik seines Regierungschefs, der ja kein Stück besser ist als Bush. überhaupt ist das Hauptthema das immer scheißaktuelle: Krieg und Frieden - wohl auch dem Umstand geschuldet, dass der 1943 geborene Waters seinen Vater bereits im Zweiten Weltkrieg verlor.
Zu Begin von "Sheep" (vom Floyd-Album "Animals") mit dem man in die Pause entlassen wurde, konnte man sich akustisch auf einer Schafswiese wähnen, die Schafe kreisten förmlich um einen herum.
Nach der Pause dann die komplette "Dark Side of The Moon" - am Stück, in Farbe und mehr als Stereo. Die insgesamt elf Musiker gaben alles und inszenierten auch diese rund 40 Minuten perfekt. Perfekte Musiker eben, ob da zwingend ein Roger Waters auf der Bühne stehen müsste, um diesen Abend so gigantisch zu machen? Eher nicht.
Is there anybody out there?'' - die gesamte Bühne eingeschlossen in einem Gitter aus Licht.
Danach die obligatorische Zugaben-Ruf-Pause und noch ein schönes Medley aus Stücken von "The Wall" - zu "Another Brick In The Wall II" zeigte sich das Züricher Publikum sehr textsicher, zum Refrain konnte man sich schon fragen, ob der Gesang nun von Band, nur von den mitsingenden MusikerInnen oder einfach komplett aus der Halle kommt. Aber wie könnte es auch anders sein bei diesen Zeilen: "Hey teacher, leave us kids alone..."
Waters zeigte sich dankbar für den rauschenden Applaus, den er zu Recht bekam. Premiere - es war das erste Konzert der Europa-Tournee - bestanden.
jh
Zu Spät-Faktor: 9
Zuschauer: 15.000 (ausverkauft)
Spieldauer (netto, handgestoppt): 2h15
Homepage von Roger Waters
Goodnews.ch
09.03.2007:
"Elite für alle" - eine intellektuelle Unterhaltung
Frank Lüdecke, Vorderhaus Freiburg
Nachdem sich tags zuvor nur etwa 50 ZuhörerInnen im Freiburger Vorderhaus versammelt hatten, war der Saal doch am Freitag nahezu ausverkauft - wieder einmal senkte ich den Altersdurchschnitt des Publikums merklich. Zu sehen und hören gab es Frank Lüdecke, Kabarettist, ehemaliger Hauptautor von Dieter Hallervorden, Stammgast der ARD-Sendung "Scheibenwischer", künstlerischer Leiter der "Distel" in Berlin und Träger diverser Kleinkunstpreise, der momentan (und dies schon seit über 2 Jahren) mit seinem Solo-Programm "Elite für alle" auf Tournee ist.
Nachdem der 1961 geborene Berliner mit seiner Gitarre ohne Korpus dem Publikum gleich zu Beginn verdeutlicht hatte, dass Klatschen ein sehr angenehmes Geräusch sei, und dass er damit sehr gut umgehen könne, startete er sein Programm mit der Begrüßung "liebe Gebärmaschinen". Schon war er inmitten der Debatte um Krippenplätze und den Augsburger Bischof Mixta, sein Programm also auf dem aktuellsten Stand der politischen und gesellschaftlichen Diskussionen. Perfekt funktionierende und inszenierte übergänge ließen ihn dann schnell von sozialen Randgruppen, dem abgehängten Prekariat und der Unterschicht, über Gerhard Schröder und der Feststellung, dass das, was von ihm bleibt "vier Hochzeiten und ein Dosenpfand" sind, zu Angela Merkel kommen. Mithilfe großartig gelungener und ausdrucksstarker Gestik und Mimik (und dies den ganzen Abend über) stellt er daraufhin die entscheidende Frage: "Was ist los mit unserer Politik?"
Mienenspiele: Frank Lüdecke
Um erst gar keine mögliche Langeweile beim Publikum aufkommen zu lassen, immer wieder der Griff von Frank Lüdecke zu seiner E-Gitarre, deren Spiel er, ebenso wie seine ausdrucksstarke und angenehme Stimme, sehr gut beherrschte. So kamen wir in den Genuss eines Liedes - es sollte mein Lieblingslied an diesem Abend werden - in dem er fragt: "Wo sind die Wiesen grün und saftig... wo sind Proteste noch wahrhaftig?" "Sweet home Sachsen-Anhalt", gar keine Frage.
Doch ist sein Programm keine alleinige kabarettistische Politikanalyse, selbstverständlich kommt auch die Gesellschaft samt ihren gesellschaftlichen Großereignissen nicht zu kurz. Und, nicht schwer zu erraten, da war Frank Lüdecke beim Thema Fußball-WM und natürlich bei Sönke Wortmann, dem "Pressesprecher des DFB"; er war bei der nicht ganz so neuen Feststellung, dass der Deutsche immer dann am leistungsfähigsten ist, wenn man ihn anbrüllt; er war inmitten der Debatte des hochkonjunkturellen Flagge-Zeigens. Aber er zeigte auch, dass sich das Bonner Sinfonieorchester und die Institution Ehe hervorragend für kabarettistische Betrachtungsweisen eignen.
Mienenspiele 2
Dann weiter zur Elite - und den werdenden deutschen Elitemüttern, die sich in der Schwangerschaft einen Kassettenrecorder auf den Bauch stellen: "Englisch für Ungeborene Teil I"; zum Strebertum - und den Strebern, die es schwer hatten, nachdem die 68er in Schulen Gruppenarbeit eingeführt und damit Leistung abgeschafft haben, und die so unbeliebt waren, weil sie nicht freiwillig bereit waren, das Kollektiv zu unterstützen und so zum Klassenfeind avancierten; zum Aufbau Ost - und der Erkenntnis, dass nach dieser Wahnsinnsleistung Aufbau-Ost das größte Obi pro Kopf-Aufkommen der Osten hat; zu der Rechtschreibreform - und dass es Lüdecke irgendwie egal ist, ob er Schifffahrt mit einem oder mit fünf f schreibt und zu seinem Vater - einem extrem lebenslustigen Rentner.
Das Publikum bewies seine Lernfähigkeit und klatschte lautstark bei den ersten Gitarrenklängen nach der aus konzentrativen Gründen wichtigen und erholenden Pause - die gute Unterhaltung konnte weitergehen. Nun, es ging munter weiter: vom Christopher Street Day zu den Werten Europas, von den US-Amerikanern (die keine Ahnung vom "Kimono-Protokoll" haben, aber dafür Gefangene auf Guantanamera foltern) bis zur Rolle der Väter früher und heute. Es ging um PISA und Bildung, um die Kirche (die aufgrund ihres Mitgliederschwunds doch mal McKinsey zur Unternehmensberatung engagieren sollte) und um die Globalisierung und der damit verbundenen Feststellung: "So wie sich die Wirtschaft verflechtet, globalisiert sich auch der Schwachsinn". Wir wissen nun, dass Deutschland wieder ganz nach oben kommt und neben jedes Klärwerk eine Elite-Universität baut, und wir kennen die Geschichte vom Bau des VW-Touareg in der Slowakei.
Zwei Stunden amüsante und kurzweilige Unterhaltung auf hohem Niveau, die ihre Vielfalt - und dadurch mein anhaltendes Interesse - durch die Großartigkeit der Mimik und Gestik Frank Lüdeckes, durch den steten Wechsel seiner Tonlagen und durch den perfekten Einsatz seiner wenigen Requisiten - Stuhl, Gitarre, gelegentliche Einspielungen von Originaltönen aller Art - erlangte und immer beibehielt. Wie es auch auf seiner Homepage zu lesen ist, und dies ja ganz bestimmt nicht immer der eigenen Meinung entspricht, kann ich in diesem Falle bedingungslos zustimmen: "Dem Kabarettisten und Autor Frank Lüdecke gelingt das Kunststück, intellektuell und trotzdem höchst unterhaltsam zu sein."
Tanja / Fotos: jh
Zuschauer: 50 / 120 (Do/Fr)
Spieldauer: ca. 120 Minuten
Heimatseite von Frank Lüdecke
Vorderhaus Freiburg
23.02.2007:
"Wenn nichts passiert, bin ich nicht immer glücklich" - Ein Schauspiel in 4 Enden
Element of Crime im Burghof Lörrach
Da schließe ich mich doch bei meinem Gastbeitrag für das Dorfgeschwätz ganz der Meinung Sven Regeners an. Aber, es ist doch etwas passiert am Freitag Abend, im Lörracher Burghof. Da kamen nämlich etwa 900 Menschen zusammen, die alle etwas gemeinsam hatten: Sie wollten Element of Crime live sehen. Die Menschen jedoch waren ziemlich unterschiedlich, aber nicht nur das, irgendwas an all den Menschen war ziemlich ungewohnt für mich, bei meinem ersten Element of Crime-Konzert: Nun ja, es war wohl die Tatsache des gehobenen Altersdurchschnitts, die Tatsache, dass ich mich wohl mit zu den jüngsten im Publikum zählen musste, und dass irgendwie alles ziemlich gediegen zuging. So wurden bei der Warterei im Foyer von Hemd-in-den-Hosen-Trägern und Blusen-mit-Perlenohrring-Trägerinnen seriöse Tischgespräche bei einem Becher Bier - vielleicht doch eher Wein - in der Hand geführt. Seltsamerweise war das alles so ungewohnt spannend, dass wir doch tatsächlich den überaus pünktlichen Beginn der Vorband im Saal nicht mitbekamen. Nicht so wirklich weiter schlimm. Auf der Bühne stand der Liedermacher Ed Csupkay (Gitarre, Gesang) mit seinem Begleiter Malcolm Arison (Mundharmonika, Violine und andere Zusätze). Einer, wie es so schön auf seiner Homepage heißt, der ausgezogen ist, "den deutschen Folk aus dem Teppichtaschen- und Blümchensex-Ghetto zu holen". Ende Januar wurde sein Debüt-Album "Das Tier in mir" veröffentlicht. Aber irgendwie zündete der Funke mit Textzeilen wie "in China gibt's heute mal Reis für alle ... und du sagst, du liebst mich nicht mehr" oder einem Ruf in die Menge "are you ready to schunkel?" bei mir nicht so richtig. Man mag mich verbohrt und unoffen nennen, aber die deutsche Ed Csupkay-Version des großartigen Ramones-Klassiker "I wanna be your boyfriend" tat tief in meinem Inneren ziemlich weh, und "Hey du süßes Ding, du, ich wär so gern dein Freund" konnte mich so gar nicht begeistern. Deswegen: Nicht schlimm, als Ed Csupkay und Begleiter nach 30 Minuten Spielzeit die Bühne verließen.
Nach dem Bemerken, dass es sich etwa 250 der anwesenden Personen auf der Empore in gemütlichen Sitzen bequem gemacht hatten (was mich weiter über das Publikum nachgrübeln ließ) und nach einer Zigarettenlänge (was beim Burghof heißt: raus in die Kälte) war es auch schon Zeit, zum Treffpunkt zu gehen, um die ersten Lieder von Element of Crime zum Fotografieren in den Graben zu dürfen. Pünktlich wie angekündigt ging das Schauspiel los. In abwechselnd rot-grünem Lichtspiel-Spektakel zeigte sich Sven Regener mit seiner Band. Tja, und was gibt es dazu schon viel zu schreiben. Wunderschöne Trompetenklänge, Melancholie, Traurigkeit und Romantik und Texte, bei denen es sich lohnt, genauestens zuzuhören - das eben, wofür Element of Crime seit nunmehr 22 Jahren und 11 Alben stehen. Das Repertoire war bunt und vielfältig. Von einem alten Song aus Zeiten, in denen noch auf Englisch gesungen wurde, und, wie Sven Regener sagte, "aus der Zeit als wir noch Disko gemacht haben" namens "Murder in Your Eyes" bis hin zu "Finger weg von meiner Paranoia", einem - es ist mein Lieblingssong - gut nach vorne losgehendem Lied des letzten Albums "Mittelpunkt der Welt".
Eine Anmerkung zur Romantik sei noch gestattet: Es war ein herzerweichender Anblick, als einmal ein einziges und einsames glimmendes Feuerzeug irgendwo vorne im Saal in die Höhe gehalten wurde. Und irgendwie bin ich damit schon wieder beim Publikum angelangt, dessen oftmals klägliche Mitsingversuche keine Freude für meine Ohren waren. So zum Beispiel zwei sich im mittleren Mittelalter befindliche Kichernasen hinter mir, die nicht nur falsch mitsangen und unrhythmisch und unpassend mitklatschten, sondern überflüssigerweise auch noch, kaum war der letzte Ton eines Liedes verklungen, mit "Sven, los, sing!" sofort ein nächstes Lied forderten und recht lautstark auf sich selbst aufmerksam machten. Diese beiden hinter mir stehenden Damen waren es ebenfalls, die mit einem "ja, alle kennen das" auf den nun folgenden Song "Delmenhorst" einstimmten. Dieses Lied, als Single aus dem letzten Album veröffentlicht, brachte der Band ihre erste Platzierung in den deutschen Single-Charts ihrer Karriere ein. Lied in den Charts, Bekanntheitsgrad groß, Applaus enorm: Die Jubelschreie und der tosende Applaus bestätigen irgendwie mal wieder mein recht gespaltenes Verhältnis zu den deutschen Charts, aber vielleicht stehe ich auch allein auf weiter Flur mit meiner Einstellung, dass dies ganz bestimmt nicht das beste Lied des Albums ist.
Schön ist es, dass sich Sven Regener als "Wischmop für die Tränen" zur Verfügung stellt. Weniger schön, das ist aber auch die einzig klitzekleine Negativsache, die in Bezug auf die Band von diesem Abend zu berichten ist, empfand ich die absolut professionelle Abgeklärtheit, mit der sich die Leute auf der Bühne ohne jegliche Interaktion untereinander präsentierten. Aber vielleicht ist das kein Wunder nach jahrzehntelanger Bühnenerfahrung und einem Tourprogramm, das so gut wie jeden Abend einen Auftritt vorsieht.
Nach gut 90 Minuten näherte sich das Schauspiel dann mit einem "Servus und Tschüss" auch seinem Ende - seinem ersten wohlgemerkt. Geschreigejubelgeklatscheundzugaberufe führten zu zwei schönen Zugaben. Was folgte nach Ende zwei? Geschreigejubelgeklatscheundzugaberufe in noch größerem Maße und wieder zwei Zugaben; mit "Damals hinterm Mond" und "Bring den Vorschlaghammer mit" einer meiner persönlichen Höhepunkte des Abends. Ende Nummer drei wurde mit "Und in diesem Sinne vielen Dank, Tschüss, bis bald" eingeleitet. Mir schien es definitiv und endgültig, aber, irren ist menschlich. Und wieder einmal Geschreigejubelgeklatscheundzugaberufe, und wieder einmal fand ich das Publikum irgendwie seltsam, mir reichte es so langsam. Nach Ende vier war dann auch Schluss! Was bleibt?
"Ich hab lang auf dich gewartet, doch gelohnt, gelohnt hat es sich nicht", so sang Regener im Lied "Gelohnt hat es sich nicht". Und ich? Ich habe kurz auf diesen Abend gewartet, und gelohnt, gelohnt hat er sich auch. Ein Abend mit wunderschöner und trauriger Musik von Element of Crime.
Tanja
Zuschauer: ca. 900
Spieldauer: ca. 120 Minuten
Element Of Crime sind:
Sven Regener (Gesang, Gitarre, Trompete)
Jakob Ilja (Gitarre)
Richard Pappig (Schlagzeug)
David Young (Bass, Seniorenheadbanging)
Heimatseite von Element Of Crime
Burghof Lörrach
20.01.2007, Freiburg, Haus der Jugend:
Mia.
Menschen, Liebe, Sensationen
Wo war jetzt gleich noch mal "das Haus der Jugend"?
Es war schon eine Weile her, als ich mich dort zu einer Lesung eines Popliteraten eingefunden hatte, aber schlußendlich musste man nur der Freiburger Jugend oder den Junggebliebenen folgen um das Haus zu finden.
Es war schon recht viel los als wir endlich ankamen und die meisten drängten sich schon vor der Bühne. Wir entschieden uns, uns von der rechten Seite heran zu tasten und wurden mit ganz annehmbaren Plätzen belohnt.
Kurz nach acht ging es dann auch schon los und so trudelte die Band, einer nach dem anderen in der " Zirkusmanege" ein, zu guter Letzt das Herzstück der Band - Mieze Katz.
Den Auftakt gaben Mia mit "Engel" und passend dazu hatte sich Miez ein paar Flügelchen umgeschnallt.
Ich war dann echt überrascht wie Mia die neuen Stücke live umsetzten. Ich hatte ihre neue Platte "Zirkus" stellenweise sehr ruhig, experimentell, ja fast schon melancholisch in Erinnerung. Aber von Melancholie auf der Bühne fehlte jede Spur, sie gaben richtig Gas, rockten was das Zeug hält und zogen das ganze Haus in ihren Bann.
Man hörte ganz deutlich , die Band ist seit den letzten beiden Platten reifer geworden, und sie hat sich nicht ohne Grund der Bezeichnung "Electropunk" entledigt. Vielfalt heißt das Zauberwort, textlich wie auch musikalisch. Ich war begeistert und vom Miafieber infiziert.
Irgendwann nach "Hungriges Herz" war Miez dann von der Bühne verschwunden und die Jungs gaben ein Instrumental zum Besten und schließlich ergriff Bob das Mikrofon. Nebenher wurde das Trapez fertig gemacht für Miezes großen Auftritt.
Schließlich schritt sie im hautengen, schwarzen Glitzeranzug zurück in die Manege und wurde von Ingo Puls ans Trapez gehängt. Ihre Verrenkungen wurden vom Publikum mit Beifall belohnt und man konnte Miez vom Gesicht ablesen das ihr das Ganze, trotz großer Anstrengung, nen riesen Spaß bereitete. Allerdings sah man auch das sie echt froh war wieder heile von diesem Ding runter zu sein und sie meinte erleichtert und dankend zum Publikum: "Ihr seid mein Herz, mein doppelter Boden."
Zur neuen Single "Zirkus" vermeldete Mieze, daß sie damit beim Bundesvision Song Contest antreten werden, fast zu schade für den ollen Raab...
Dann kam endlich worauf alle (oder doch bloß ich?) gewartet hatten. Es tönten die ersten Takte von "Tanz der Moleküle" und das ganze Haus sang mit. Miez war sichtlich gerührt. Bei mir verursacht so was immer Gänsehaut.
Aber jetzt mal ehrlich Miez, diese zusammengenähten, neonfarbenen Stofffetzen kann man doch wirklich nicht Kleid nennen und was sollen diese komischen, orthopädischen Knieschoner? Das Teil war schon extrem hart!
Abgesehen von so manch grasser Klamotte, nimmt man das Bühnenbild dazu, war das Gesamtbild eine gelungene Inszenierung und verströmte einen Hauch von Zirkus.
Nach einer Leierkasteneinlage und einem nochmaligen Klamottenwechsel rockte sich Mia durch alte und neue Songs, aber auch die Lieder fürs Herz kamen nicht zu kurz und zu "two pieces" meinte Miez, dies sei der Beweis, daß man nicht seine Muttersprache braucht um auf den Punkt zu kommen.
Die Zeit verstrich wie im Flug und schon waren wir bei der Zugabe bei der ein durchgeknallter Typ im Bärenkostüm (und das bei der Hitze echt selbstmordverdächtig) sich durch alle Instrumente, die auf der Bühne so rumstanden, durchspielte. Der durchgeknallte Typ war Gitarrist Andy Penn, eine Frau erkennt sowas natürlich gleich an den Schuhen!
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Band meinte Miez: "Jetzt gibt's noch was zum blaue Flecken holen", damit wir unseren Freunden morgen auch was zu zeigen hätten und sagen könnten "schau mal hier den blauen Fleck, den hab ich mir aufm Mia-Konzert geholt und ich hab Spaß gehabt."
Und den hatten die Freiburger eindeutig und holten Mia zu einer zweiten Zugabe in die Manege um letzten Endes ein super begeistertes und rundum glückliches Publikum zurück zu lassen.
Grandioser Abend, unbedingt empfehlenswert!
Cosmo
Zuschauer: ca. 800
Spieldauer: ca. 120 Min
Mia. sind:
Gesang: Mieze Katz
Gitarre: Andy Penn
Gitarre, Horn, Keybord: Ingo Puls
Bass: Robert "Bob" Schütze
Schlagzeug: Gunnar Spies
Heimatseite von Mia.